Es ist Reisemesse. Internationale Kurzzeit-Paradiese buhlen um üppige, deutsche Urlaubsbudgets. Die Karibikinsel Saint Lucia spart nicht an Effekten und wirbt mit einem gediegenen Shanty-Chor vor zurückhaltend grauen Wänden, Möwengeschrei vom Band und salzigen Häppchen. In der Halle nebenan, am Stand der Nordseeinsel Norderney hingegen tropfen fröhliche Calypso-Klänge ins Ohr, der Gaumen wird mit frischer Mango und die Nase mit einem Hauch von Kokosnuss gekitzelt. Südsee-Feeling in der Nordsee?
Da stimmt doch was nicht! Sowohl Karibik als auch Nordsee kommunizieren nicht stimmig, denn „Produkt“ und gewählte Präsentationsweise passen nicht mit den Erfahrungen der Urlaubswilligen zusammen. Dieser laute Widerspruch verwirrt jeden Messebesucher und führt nicht zur gewünschten Buchung. Karibik stellt er sich anders vor. Da greift er doch lieber auf das gute, alte Mallorca zurück! Die Messebudgets dieser Urlaubsparadiese waren Fehlinvestitionen.
Marketing-Budgets strategisch ausgeben: Verpuffen oder vermehren? Dieselbe Diskrepanz ist auf Veranstaltungen oft zu beobachten, trotz großer Budgets für Duftmarketing, Jingles und Catering. Events wie Messeauftritte, Produktpräsentationen oder Roadshows sind eine feste Größe im Repertoire moderner Unternehmenskommunikation, aber im seltensten Fall sind sie auch auf die Botschaft der Marke abgestimmt. Ausnahmen bestätigen diese Beobachtung: Vereinzelt patentieren Firmen ihre kreierten Markenerlebnisse bereits. Harley Davidson beispielsweise sicherte sich die Rechte am typischen Röhren seiner Maschinen.
Aber wie viel Strategie steckt in einem Duftmarketing und wie viel ist persönlicher Geschmack? Woran orientieren sich Experten, wenn Sie Markenwerte wie „Traditionsbewusstsein“ oder „Vorsprung durch Technik“ in einen Messe-Sound übersetzen sollen? Der Bedarf an sich ist unbestritten: In einer – vor allem für Auge und Ohr – reizüberfluteten Welt müssen Unternehmen und Organisationen neue Wege finden, um sich effektiv von der Konkurrenz abzugrenzen und bei ihrer gewünschten Zielgruppe Aufmerksamkeit zu wecken.
Und genau hier setzt der neue Ansatz des multisensorischen Marketings an. Es orientiert sich an der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns: Schon kurz nach der ersten Verarbeitung eines Klangs oder Geschmacks führt es die empfangenen Signale zusammen. Das lymbische System bewertet und interpretiert die Eindrücke daraufhin: So wird ein schwerer Gegenstand wertvoller als ein leichter empfunden, das dumpfe Zufallen einer Autotür klingt viel exklusiver als ein helles Klacken. Eher nach Maybach, als Cinquecento.
Kunden lassen sich immer mehr von weichen Faktoren wie Farbe, Geruch oder Stimmung in ihrem Kaufverhalten beeinflussen; Preis und Produkteigenschaften sind nicht mehr erstes Kaufkriterium. Produkte werden zunehmend über Stimmungen verkauft, über Erlebnisse wie Markenwelten, Flagship-Stores, Launch-Events. Beim Ansprechen aller fünf Sinne gleichzeitig kann sich Wirkung laut Forschung sogar verzehnfachen, das so genannte multisensory Enhancement. Gerade Events bieten hier eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten. Wenn die empfangenen Reize einander jedoch widersprechen, verpufft die Wirkung, wie im oben angeführten Beispiel: Nordsee-Feeling und Karibische Exotik passen einfach nicht zusammen!
Die Zeit ist reif, Trends aus Gehirn- und der Marktforschung zu folgen Marketing-Gurus wie Martin Lindstrom predigen die Vorteile des Ansatzes schon länger, in Deutschland fand jedoch 2010 erstmals eine Messe zum Thema „Multisense“ statt. Gleich drei gesellschaftliche Trends machen diesen Schritt gerade jetzt für Unternehmen interessant: Erstens ist durch den heutigen Stand der Hirnforschung so viel wie noch nie zuvor über die Physiologie unserer Sinne und ihre Zusammenarbeit bekannt. Zweitens wirkt der Markt selbst: Die Demokratisierung von Luxus macht viele Premium-Merkmale auch für Mittelklasse-Konsumenten verfügbar. Und zum Dritten spielt die Markendifferenzierung eine große Rolle, die zunehmend über einen Wettbewerb der Wahrnehmung ausgetragen wird.
Wagt man eine Prognose, so kann man davon ausgehen, dass in wenigen Jahren die ganzheitliche Ansprache aller Sinne – auch Corporate Senses genannt – den gleichen Stellenwert besitzen wird, wie ihn die Entwicklung einer stimmigen Corporate Identity vor 30 Jahren hatte! Denn nur kongruent kommunizierte Botschaften werden wahrgenommen, heben sich aus der Masse der Mitbewerber hervor und verankern sich im Gedächtnis. Für eine Marke der Zukunft wird es daher nicht mehr ausreichen, nur einen Sinn anzusprechen. Vielmehr wird die integrierte multisensorische Markenbildung das entscheidende Steuerungsinstrument zukünftiger Markenführung sein. Ein in sich stimmiges Auftreten auf der nächsten Reisemesse fühlt sich deshalb so an: Am Stand der Karibikinsel Saint Lucia begeistern athletische Limbo-Tänzer beim Klang einer steel drum, weißer Sand am Boden, ein bunter Papagei und die Palmendeko mit Kokosduft passen hervorragend zum warmen Raumklima und Fernwehgeschmack tropischer Früchte. Der Messeauftritt Norderneys hingegen wird umweht von einer frischen Brise, die den Geschmack der Krabbenhäppchen noch unterstützt. Möwengeschrei, Meeresrauschen und Breitwandfotos vom Watt vermitteln ein Gefühl von Weite und Unbeschwertheit. Das passt doch perfekt? Genau!
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