Fotos von Christine Hartwig und Lara Medak, die im Interview über nachhaltige Events, Herausforderungen und Chancen sprechen

Nachhaltige Events: Endlich bewegt sich was – zwischen Herausforderungen und kreativen Chancen

Von Katharina Stein 16.9.2024 ~12 Minuten Lesezeit

Die Live-Kommunikation ist in Bewegung. Von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbrüchen über technologische Entwicklungen bis hin zu New Work und CSR. Doch besonders erfreulich: Auch beim Thema Nachhaltigkeit bewegt sich endlich etwas!

Im Interview mit Christine Hartwig (facts and fiction) und Lara Medak (JOKE Event) wird deutlich, wie groß der Transformationsdruck, aber auch wie herausfordernd die nachhaltige Umsetzung von Events ist. Von Überzeugungsarbeit über mangelnde Verfügbarkeit bis hin zu knappen Zeit- und Budgetvorgaben. Trotz der Hürden packen es viele an. Schließlich hat man als betreuende Agentur die Möglichkeit, Nachhaltigkeit von Anfang an mitzudenken. Das mag schwieriger, teurer oder aufwendiger sein, aber es eröffnet auch Wege für neue Ideen und innovative Lösungen.

 

Der Weg zum nachhaltigen Markenerlebnis

Interview aus dem „Experience & Event Design“-Jahrbuch 2024/2025

 

Nachhaltigkeit macht im Erlebnisdesign derzeit sichtbare Schritte vorwärts. Was hat sich getan und wo hakt es noch?

Christine Hartwig, facts and fiction: Der größte Fortschritt ist sicher, dass wir gerade auf dem Übergang von einem „nice to have“ hin zu einem „must have“ sind. Unsere Kunden erwarten ressourcenschonende Umsetzung und gute Ideen. Nachhaltigkeit ist inzwischen aber auch in der Gesellschaft verankert. Menschen wollen darüber sprechen und spannende Lösungen sehen. Und sie möchten lieber Gast auf einer nachhaltigen als auf einer verschwenderischen Veranstaltung sein. Dennoch gibt es noch Herausforderungen, insbesondere bei der konsequenten Umsetzung von nachhaltigen Prinzipien von Anfang bis Ende. Es gibt auf dem Weg immer noch viele Parteien, die man überzeugen und mit denen man diskutieren muss.

Lara Medak, JOKE Event: Natürlich merkt die Veranstaltungsbranche den zunehmenden Transformationsdruck zu mehr Nachhaltigkeit durch verschärfte gesetzliche Auflagen. Auch eine intrinsische Motivation ist spürbar und man sieht in Teilen Praxiserfolge. Bewusstsein ist da, Kompetenzaufbau im Gange – für eine flächendeckende Veränderung sind weitere Faktoren ausschlaggebend, die unsere Branche nur bedingt beeinflussen kann.

Unter anderem müsste die Politik durch Gesetze und Förderungen die Verfüg- und Bezahlbarkeit umweltschonender Energielösungen deutlich stärker pushen. Außerdem treffen auch immer kurzfristigere Planungszeiten, Lieferkettenprobleme, Fachkräftemangel und Inflation die Eventbranche. Somit sind zwei Voraussetzungen – mehr Zeit und mehr Geld – nicht ausreichend vorhanden. Die Folge: Nachhaltige Eventkonzepte werden seltener umgesetzt, als es für das Erreichen der Klimaziele notwendig wäre.

 

Eine Herausforderung ist auch die Konzeption nachhaltiger Erlebnisse. Was läuft hierbei anders als bei „normaler“ Konzeptarbeit?

Christine Hartwig: Bei der Konzeptarbeit steht die Integration von Nachhaltigkeit nicht länger am Rand. Sie ist nicht mehr nur ein optionaler Gedanke, der später in die Gestaltung einfließt, sondern zieht sich durch den gesamten Gestaltungsprozess wie eine zweite Ebene. Von der ersten Idee bis zur endgültigen Umsetzung muss die Frage lauten: Wie können wir ressourcenschonendes Design realisieren? Das beinhaltet manchmal auch, visuelle Gewohnheiten aufzubrechen und mit nachhaltigen Materialien, mit Leihprodukten, mit Resten oder wiederverwendeten Elementen eine neue Designsprache zu kreieren. Das bedeutet (auch kundenseitig) Mut, extra Arbeit und Engagement von jedem Einzelnen im Projekt.

Lara Medak: Nachhaltigkeit erfordert tatsächlich ein anderes Denken und Handeln entlang des 3R-Prinzips – Reduce, Reuse, Recycle. Die letzten beiden Faktoren beziehen sich vor allem auf die Eventproduktion mit mehr langlebigen Verbrauchsmaterialien statt billiger Wegwerfprodukte, Leih- statt Kaufmodellen und smarten Gebrauchsmaterialien, die man wieder- und weiterverwenden kann. Leider ist das Angebot an zirkulären Lösungen im Eventbereich noch überschaubar und die Preise meist höher. Auch nachhaltige Lieferanten sind meist teurer.

Reduzieren wäre ein Weg, um sowohl Umweltbelastung als auch Kosten zu senken. Allerdings stellt sich in der Eventkonzeption die Frage, ob damit das Erlebnis eventuell eingeschränkt wird. Das ist eine Herausforderung für die Agentur-Kreation, weil es mehr Aufwand und neue Ideen sowie ein Umdenken bei den Planenden und Entscheidenden benötigt.

 

Umdenken und Engagement sind durchaus zu sehen, aber nicht bei allen. Von wem kommt die jetzige Bewegung?

Christine Hartwig: Einerseits verlangen Kunden vermehrt umweltfreundliche Konzepte und andererseits erwartet die Gesellschaft, dass Unternehmen Verantwortung übernehmen.

Was mich wirklich inspiriert, ist der Nachwuchs! Bei meinen Workshops im treibhaus oder auch bei meinen Treffen mit Designstudierenden in Barcelona spüre ich die Energie und das Feingefühl, das sie für Nachhaltigkeitsthemen mitbringen. Die jungen Leute interessieren sich nicht nur für coole Events, sondern wollen echten Wert schaffen – für die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft.

Es ist total erfrischend zu sehen, wie diese Generation nicht nur über Nachhaltigkeit spricht, sondern auch wirklich etwas bewegen will. Sie verstehen, dass es nicht nur darum geht, eine Party zu veranstalten, sondern darum, eine echte Veränderung anzustoßen.

 

Individuelle Begeisterung ist ein wichtiger Teil. Daneben braucht es aber auch strukturelle Veränderung der gesamten Firma, oder?

Lara Medak: Ja, denn Transformationsprozesse sind ganzheitliche Entwicklungen, die die Unternehmenskultur betreffen. Idealerweise werden die nachhaltigen Themen von der Geschäftsführung und anderen internen Multiplikatoren vorgelebt.

Wir haben unser Nachhaltigkeits-Kernteam, das gemeinsam mit der Geschäftsleitung die Strategie und Ziele vorgibt – die Umsetzung erfolgt auf breiter Ebene. Dafür haben wir im Lead eine Arbeitsgruppe – das JOKE Care Team – mit Kolleg:innen aus allen Fachabteilungen. Hier können wir im direkten Austausch Zielvorgaben mit dem tatsächlichen Status abgleichen und daraus Verbesserungsmaßnahmen für jeden Bereich von Kreation über Projektmanagement bis Produktion entwickeln.

 

In diesem Kontext lassen sich auch immer mehr Agenturen zertifizieren. Wie wichtig ist das für euch?

Christine Hartwig: Für uns war die Entscheidung, das EMAS-Zertifikat zu erlangen, ein wichtiger Schritt und ein starkes Statement für Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Als Agentur, die nicht nur lokal, sondern europaweit tätig ist, war es besonders bedeutsam, ein anerkanntes EU-Zertifikat zu wählen. Nicht zuletzt bietet EMAS eine umfassende Methodik zur Verbesserung unserer Umweltleistung und hilft uns, unsere Prozesse und Abläufe zu optimieren und den ökologischen Fußabdruck zu mindern.

Lara Medak: Nach dem Verbandszertifikat fwd Sustainable Company haben wir uns 2023 aufgrund der hohen Bekanntheit und Akzeptanz am Markt für die ISO 14001 entschieden. Dieser offizielle Nachweis schafft Vertrauen nach außen. Tatsächlich hat uns der aufwendige Zertifizierungsprozess auch wichtige Impulse gegeben. Ob Umweltrecht oder nachhaltiger Beschaffungsleitfaden – dadurch sind wir uns vieler Themen und Tools bewusst geworden, um wirkungsvoll an der Umweltbilanz unseres Betriebs und natürlich auch an der Reduzierung des CO2-Fußabdrucks von Events zu arbeiten.

 

Ein großes Thema ist Greenwashing. Tatsächlich präsentierten sich manche, frühere Events mit Selbstverständlichkeiten oder reiner Kompensation als nachhaltig. Wie schätzt ihr die Situation jetzt ein?

Lara Medak: Nachhaltigkeitsanforderungen sind in den letzten Jahren stark gestiegen – man merkt den wachsenden Druck in allen Bereichen. Weil die ökologische Transformation in den letzten Jahrzehnten keine Priorität hatte, müssen jetzt schnelle Erfolge her.

Echte Transformation braucht aber Zeit. Von heute auf morgen kann es keine 100 Prozent grünen Events geben. Daher sollten Erwartungen und Kommunikation an die Realität angepasst werden. Unseren Kolleg:innen sagen wir, dass sie mit kleinen Schritten anfangen sollen und erst nur einen Bereich oder ein Gewerk nachhaltig aufsetzen. Den aber richtig. Nichtstun ist keine Option.

Statt in Profiteure, die in Drucksituationen schnelle Lösungen mit günstiger Kompensation und zweifelhaften Zertifikaten versprechen, sollten die Unternehmen in den eigenen, langfristigen Wissens- und Kompetenzaufbau investieren. Greenwashing passiert nicht immer bewusst und böswillig, sondern auch aus Unwissenheit.

 

Andererseits möchten einige Firmen tatsächlich nachhaltiger werden. Ist das in den Briefings zu spüren oder müssen Agenturen selbst Initiative zeigen?

Lara Medak: Wir sehen stärkere Briefing-Anforderungen seitens Kunden, gerade im Fall von Konzernen auch durch gestiegene gesetzliche Auflagen an Lieferanten. Grundsätzlich merken wir, dass CRS in der Wirtschaft an Wichtigkeit gewinnt – neben der Gesetzeskonformität geht es auch darum, sich als Unternehmensmarke positiv zu positionieren.

Weil aber häufig Kompetenz, Erfahrung und auch Kapazitä- ten auf Kundenseite fehlen, sind die Agenturen als proaktive Berater und Implementierungsprofis gefragt. Angefangen von nachhaltigen Eventkonzepten, um Alternativen schon in der Planung aufzuzeigen, bis zu belast- und bezahlbaren Produktionslösungen.

Christine Hartwig: Nachhaltige Auflagen gehören bei Ministerien schon lange zum Standardbriefing. Wir setzen uns jedoch auch aktiv für Nachhaltigkeit ein und sehen es als unsere Verantwortung, über gesetzliche Anforderungen hinauszugehen. So zum Beispiel die Reise-Emissionstabelle: Die machen wir von uns aus, weil das ein Bestandteil der EMAS-Zertifizierung ist und wir unsere Reisen hierfür stets dokumentieren.

Aber vor allem ist sich facts and fiction bewusst, wie sehr eine Kreativagentur die Möglichkeit hat, Nachhaltigkeit von Anfang an mitzudenken und in den Fokus von Gestaltungsprozessen zu rücken. Indem nachhaltige Aspekte bereits in der Konzeption und im Design berücksichtigt werden, können kreative Ideen im Einklang mit ökologischen Prinzipien entwickelt werden. Dies eröffnet neue Wege, um innovative Lösungen zu schaffen, die die Umwelt respektieren und schützen. Kreativität und Nachhaltigkeit gehen Hand in Hand. Wir möchten innovative und umweltfreundliche Lösungen entwickeln, die sowohl den Anforderungen unserer Kunden als auch den Bedürfnissen unserer Umwelt gerecht werden.

Digital Gipfel | Fotos: Michael Reitz, Thomas Rafalzyk

Nachhaltige Events in der Praxis: Es braucht überzeugte Partner und viel Vorlauf

Kommen wir auf konkrete Projekte zu sprechen. Facts and fiction hat den „Digital-Gipfel“ nach den Richtlinien des Leitfadens für nachhaltige Veranstaltungen geplant, durchgeführt und dokumentiert. Was heißt das im Detail?

Christine Hartwig: Jede Phase der Konferenzplanung und -durchführung wurde hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt und Nachhaltigkeit überprüft. Beispielsweise haben wir uns intensiv mit der umweltverträglichen Anreise beschäftigt und Informationen zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie e-Shuttles bereitgestellt. Zudem haben wir konsequent auf papierloses Einladungsmanagement gesetzt und die Raumtemperatur auf maximal 20 Grad begrenzt. Auch unser Catering war komplett vegetarisch und vegan, regional und saisonal. Zusätzlich kamen wiederverwendbare Materialien zum EInsatz, wie eine Systembauweise für Präsentationsexponate, die danach zu neuen Produkten wie Gymbags recycelt wurden. Auch das Bühnenbild ist ausschließlich aus wiederverwendbaren bzw. nachhaltigen Materialien konzipiert.

 

Was nehmt ihr aus diesem Projekt mit?

Christine Hartwig: Die umfassende Dokumentation hat uns gezeigt, dass viele Aspekte bereits gut umgesetzt wurden, wie beispielsweise die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und die Schaffung von Synergien zwischen Dienstleistern im Sinne bestmöglicher Transportwege. Verbesserungsbedarf besteht etwa bei der Vermeidung von Druckerzeugnissen und im Einsatz fair gehandelter und biologischer Produkte. Solche Erkenntnisse helfen uns dabei, bei der nächsten Veranstaltung den Nachhaltigkeitszielen näher zu kommen. Ein wesentlicher Faktor liegt darin, unsere Partner im Projekt zu überzeugen, gemeinsam nachhaltige Lösungen zu finden.

Wir setzen uns aktiv dafür ein, auch bei Details, wie beispielsweise dem Material für eine Bühnenblende, nachhaltige Alternativen zu prüfen und umzusetzen. Auch wenn dies manchmal eine Herausforderung darstellt.

 

EWE Festival Kraftwerk | Foto: Patrick Schulze

Ein ganz anderes Projekt ist das EWE Festival-Kraftwerk, ein Markenerlebnis und Praxistest für eine mobile, energieautarke Energieversorgung. Was hat JOKE Event hierbei umgesetzt?

Lara Medak: Im Kern haben wir klimaschonende Energiemodule für 1- bis 3-Tages-Festivals in der Praxis getestet. Neben erneuerbarer, direkt am Stand produzierter Energie über Solarpaneele und Windkraftanlage kamen ressourcenschonende Energiespeicher mit grünem Wasserstoff und Brennstoffzelle sowie Batteriespeicher zum Einsatz. So konnten die eigenen Standflächen und auch Festivalinfrastruktur wie Gastro- oder Bühnenbereiche nachhaltig betrieben werden. Das Projektteam hat sich dabei besonders um die Frage der Verfüg- und Belastbarkeit gekümmert.

Außerdem waren uns zirkuläre Materialen und die Wiederverwendbarkeit des Equipments wichtig. Daher haben wir das Standgerüst vom Vorjahr genutzt, langlebige Naturstoffe wie Holz und Metall sowie echte Pflanzen eingesetzt. Bei den Aktivierungen haben wir uns auf analoge Power verlassen: ein Bubble-Bike aus alten Komponenten und ein umgerüstetes Laufband mit Ventilator. Dazu Armdrücken und Klimmzüge fürs nachhaltige Kräftemessen. Nicht mehr Effekte, aber mindestens genauso viel Spaß mit weniger Ressourcenaufwand.

 

Was habt ihr aus diesem Projekt gelernt?

Lara Medak: Alles Neue braucht reichlich Vorlauf. Rechtzeitige Planung ist der Schlüssel bei nachhaltigen Lösungen. Wer sein Event energieneutral betreiben will, sollte ein halbes bis ein Jahr vorher bei seinem Lieferanten für mobile, umweltfreundliche Stromlösungen bestellen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot – wenn immer mehr nachhaltig bestellen, werden sich auch das Angebot und die Produktion erhöhen. Und mit der Zeit dann nicht nur schneller, sondern auch günstiger verfügbar sein.

Ein Pionierprojekt ist auch immer eine Challenge – heißt: Man muss auch Überzeugungsarbeit für den Mehraufwand im eigenen Team leisten, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit stärken. Und das Erfolgserlebnis danach auch teilen, damit andere motiviert sind, nachzuziehen. Durch das EWE Kraftwerk und die begleitende Kommunikation sind wir mit unseren Leuten und Branchenkolleg:innen darüber ins Gespräch und „ins Machen“ gekommen, wie man Nachhaltigkeit praktisch und erfolgreich umsetzen kann.

 

Danke für die Einblicke!

 

Das „Experience & Event Design“ Jahrbuch direkt bei der Autorin bestellen.

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