„50 Jahre KommunikationDirekt“
Donnerwetter, denkt man bei dem Buchtitel, jetzt ist man schon so lange dabei und hat etwas Wichtiges nicht mit bekommen? Oder hat Volkwart Dams in den Archiven des Vatikans Geheimdokumente gefunden, die er jetzt mit uns teilen will?
Unbestritten ist Volkwart Dams einer der Pioniere und prägenden Persönlichkeiten der Branche. Unbestritten sind auch die Leistungen der Agentur und ihrer Mitarbeiter. Es geht also nicht darum, seine Leistungen als Unternehmer zu schmälern. Es geht um die Korrektur eines schiefen Selbstbildes, das er der Messe- und Veranstaltungswirtschaft überzustülpen versucht. Die Sonne dreht sich nun einmal nicht um die Erde.
Ein neues Evangelium?
„50 Jahre KommunikationDirekt – Entstehung und Entwicklung von Event- und Live-Marketing“, im DIN A4-Format, 238 Seiten (davon 112 vollformatige Bildseiten), 1.500 Gramm schwer, 49 Euro teuer.
Schon im Buchtitel verbirgt sich eine Raffinesse: dem Leser wird eine 50jährige Firmengeschichte als Branchen-Historie untergeschoben, sozusagen als die ganze Wahrheit. Dams verortet den Ursprung der Live-Kommunikation im Beginn seiner Berufstätigkeit als Fotograf. Die Wurzeln des Events liegen jedoch nicht in der Bildkommunikation, das ist schlicht und ergreifend Quatsch. Wenn, dann gebührt diese „Ehre“ doch wohl der Frankfurter Messebau-Firma ‚Ernst F. Ambrosius & Sohn gegründet 1872 GmbH‘!
Zur Struktur des Buches gehören Beiträge von Volkwart Dams, Dokumente der Firmengeschichte und sog. Zeitzeugen. Das klingt etwas melodramatisch, handelt es sich doch in zahlreichen Fällen eher um Zeitgenossen, zumindest gemessen an ihrer Affinität zum Thema ‚Event‘. Namentlich ein großer Teil der Professoren sind mehr schmückendes Beiwerk als ein substantieller Beitrag zur Thematik. Nach der zugegeben oberflächlichen Einschätzung des Rezensenten sind nur 13 (von 24) Personen echte Zeitzeugen, darunter fünf Kunden und drei Journalisten. Aus diesem Kreis sind die Beiträge von Peter Hammer (w&v-Redakteur), Hans-Jürgen Heinrich (Chefredakteur events) und Ulrich Wünsch (Gründungsrektor der hdpk und Professor für Eventkommunikation) von der Qualität, die der Buchtitel verspricht. Die Fallbeispiele wie EVONIK sind aufschlussreich, der große Rest entspricht dem Duktus einer Festschrift aus Anlass eines Firmenjubiläums.
Sodom und Gomorrha
Als Herausgeber zeichnen verantwortlich Colja Dams und das 2005 aus der Taufe gehobene ILM Institut für Live-Marketing, das auf der Agentur-Website als „weltweit erstes Institut für Live-Marketing“ gepriesen wird. Zweimal falsch, weil gar nicht recherchiert? Das ILM ist weder das einzige, noch das erste Institut. Eine Kurzbefragung des Internets zeigt folgendes Ergebnis:
1. Das indische (!) NAEMD National Academy of Eventmanagement and Development wurde bereits im Jahre 2000 gegründet
2. Das amerikanische EMI EVENTMARKETING INSTITUTE wurde im Jahre 2001 gegründet
3. Das in Iserlohn ansässige (nur 37km von Wuppertal entfernte) Institut für Eventmanagement existiert seit 2008
Ein früher Hinweis des Verfassers an Volkwart Dams zu diesen falschen Behauptungen wurde ignoriert.
Die Namensgebung ‚Institut‘ suggeriert eine Aura von Wissenschaft. Fakt ist, dass das ILM mit keinem Lehrstuhl kooperiert, selbst keinen ausgewiesenen Wissenschaftler beschäftigt und Studien auch schon mal als Auftragsarbeit vergeben werden, wohl gemerkt der Interpretationsteil.
Wie man seriös Forschung und Lehre betreibt, beweist seit über einem Jahrzehnt Uniplan Agentur für Live-Kommunikation. Die lesenswerten Studien und das empfehlenswerte Fachbuch „Live Communication Management“ entstanden in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl von Prof. Dr. Manfred Kirchgeorg.
Hybrid Events
Nun zum Homunculus aus dem Hause Dams – das Hybrid Event. Es wird als das Patent-Rezept verkauft, ohne das es in Zukunft nicht mehr ginge. O-Ton David Korte, Director Strategy & Concept: „Wenn schon heute ein Großteil der Live-Events mit hybriden Elementen angereichert wird, wird es in Zukunft kein Live-Event mehr ohne hybride Verstärker geben.“ (S. 224)
Die eigentlich gemeinte perfekte Symbiose aus Event und Social Media beschrieb Uniplan in seiner Studie ‚Live Trends 2009‘ schon etwas früher als VOK DAMS. In der Kommunikationswissenschaft wird von Hybridisierung gesprochen, wenn sich mehrere Genres zu einem Neuen zusammenfügen. So gilt z.B. das Genre Reality-TV als Hybrid. Ein Beleg: die RTL-Serie „Berlin Tag & Nacht“ sorgte 2012 für Furore. Eine ‚Scripted Reality‘, deren Wirkraum sich ins Internet erweitert, denn das Publikum freundete sich auf Facebook mit den Protagonisten an und nahm an ihrem Alltag teil.
Hybrid Events gaukeln die Gleichberechtigung von Realität und Virtualität vor. Es handelt sich aber nach Prof. Dr. Hans Rück um einen Mensch-Maschine-Mensch-Dialog, also eine virtuelle Interaktion. Sein Fazit: „Web 2.0-Elemente können für Events eine wichtige Ergänzung sein; das Zielgruppenprofil entscheidet über die Relevanz und die Wahl der Anwendungen und Kanäle. Der Kern eines Events ist und bleibt jedoch die persönliche Interaktion. Sie ist unersetzlich, denn nur aus ihr entsteht emotionale Wirkkraft echter Erlebnisse.“ (events 1/2012). Weiter auf Seite 2…
Das Schweigen der Lämmer
Nun könnte es gleichgültig sein (auch dem Rezensenten), dass Dams sich und seine Agentur feiert, auch wenn alles ein wenig nach Großmannssucht schmeckt. VOK DAMS ist eine der führenden Agenturen für Live-Kommunikation, Volkwart Dams war viele Jahre im Vorstand des FAMAB. Da trägt man Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Reputation der Branche, die Ausbildungsstandards, da bietet man Orientierung für andere Marktteilnehmer. Ganz wichtig: VOK DAMS wird durch die mediale Präsenz ihrer Vertreter als Meinungsführer wahrgenommen. Entgegen der weit verbreiteten Auffassung, dass Dams große Verdienste um die Branche hätte, man kann leicht zu einer gegenteiligen Auffassung gelangen, ist er lediglich der Lauteste. Zur Illustration mag die Zahl der Pressemitteilungen des Jahres 2012 im Vergleich mit Uniplan und BBDO dienen:
Vater und Sohn Dams sind meinem Eindruck nach ihrer großen Verantwortung nicht gerecht geworden. ‚Eventmarketing‘ findet in Marketing-Fachzeitschriften nicht statt, die bizarre Pitch-Praxis der Industrie ist evtl. auch Ausdruck der Geringschätzung dieser Kommunikationsdisziplin und dieses Agentur-Typs. Der Begriff ‚Eventagentur‘ hat keinen guten Klang, der ‚Eventmanager‘ ist geradezu ein Schimpfwort, allerdings haben das Branchen-Fremde zu vertreten.
Die meiner Meinung nach mangelhafte Marketing-Kompetenz, natürlich auch anderer Agenturen, verhindert den Dialog auf Augenhöhe. Publikationen in der Art von Code Rouge schaden aus meiner Sicht dem Image der Branche und damit der Wertschätzung durch Kunden. Mangelnde Wertschätzung schadet dem Honorar. Das geht dann alle an, auch die Eventdienstleister. Ein anderes Beispiel: Unter der Ägide von Volkwart Dams stagnierte die Mitgliederzahl des FAMAB bei ca. 250, die Zahl der Agenturen halbierte sich in der Zeit, u.a. wegen des Streits um das Umsatzranking.
Zeit für ein Fazit
„50 Jahre KommunikationDirekt – Entstehung und Entwicklung von Event- und Live-Marketing“ ist ein pompöses Pamphlet in eigener Sache. Dies wird dem Leser allerdings erst nach etlichen Seiten klar. Wenn sich der Weihrauch verzogen hat, hält man ein Sachbuch in Händen, das dem interessierten Laien ein buntes Kaleidoskop der letzten 50 Jahre Veranstaltungswirtschaft vermittelt. Die Entwicklungsgeschichte wird sachkundig mit streckenweise lesenswerten Beiträgen erzählt. Die Entstehungsgeschichte erweist sich aus meiner Sicht allerdings als grober Irrtum, als schwerer Fall von Betriebsblindheit. Das Konstruktionsprinzip mit eigenen und fremden Beiträgen ist nachahmenswert. Das Verhältnis von Text und Bild lässt einige Wünsche nach Vertiefung offen. Berechtigter Stolz auf die eigene unternehmerische Leistung gleitet zuweilen in Selbstgefälligkeit ab. Volkwart Dams hält sich seit Jahren für Maß und Mitte, in Wahrheit ist es aber Maßlosigkeit.
Wer schweigt stimmt zu, wussten schon die alten Römer. Daher appelliert der Verfasser an Hochschullehrer, Dozenten und Weiterbildungsinstitute, die Verbände sowie Geschäftsführer von Agenturen, Messebau und Eventdienstleister, sich in Zukunft nachdrücklich zu wehren:
1. Gegen eine private Geschichtsschreibung, die ein verzerrtes Bild insbesondere bei Auszubildenden und Studierenden entstehen lässt
2. Gegen verdrehte Fachbegriffe, die bei Marketing Experten Kopfschütteln auslösen
3. Gegen Gattungsbegriffe der Marke Eigenbau, die ein schiefes Licht auf die Branche werfen
4. Gegen eine angemaßte Deutungshoheit, die sich als Sprachrohr der Branche geriert
Der „wissenschaftliche Zustand“ unserer Branche erfordert dringend Investitionen in die Forschung! An die Spitze der Bewegung müsste sich der FAMAB setzen. Ich bin gespannt.
Fotoquelle auf der ersten Seite: amazon
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