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Inklusion & Diversität bei der re:publica: Events profitieren von einem diversen Besucher-Mix

Von Katharina Stein 8.9.2016 ~11 Minuten Lesezeit

Es gibt wichtige Themen in der Eventbranche, die aber nur selten ernsthaft angegangen werden. Inklusion und Diversität gehören definitiv dazu. Wie kann man eine Veranstaltung oder Konferenz möglichst barrierefrei gestalten? Wie eine ausgeglichene Besucher- oder Geschlechterverteilung fördern? Meistens wird jedoch kein Bedarf oder nur die zusätzliche Arbeit gesehen. Dabei liegen hier große Chancen. So kann man neue Besucher, spannende Referenten gewinnen und seine Veranstaltung mit anderen und offenen Perspektiven bereichern. Die re:publica hat das schon länger verstanden und profitiert von ihrem diversen Besucher-Mix.

Wenn man nach praktischen Event-Beispielen zum Thema Inklusion sucht, stößt man schnell auf die re:publica. Die Veranstalter denken das Thema bei der Organisation nicht nur mit und versuchen Barrieren zu reduzieren, sie gehen auch aktiv auf bestimmte Communities und Menschen zu. Sie fragen nicht nach dem Bedarf, sie möchten ihre Veranstaltung vielmehr aktiv bereichern. Das Ziel der Veranstalter ist aber nicht „nur“ Menschen mit Behinderungen einzubeziehen, sondern für möglichst alle Menschen mit all ihren Unterschieden offen zu sein. Von LGBTIQA-Communities über GeringverdienerInnen bis zu einer ausgeglichenen Geschlechter-Verteilung. Für sie schließt Inklusion auch Diversität mit ein.

Das Ergebnis dieser Denkweise macht, meiner Meinung nach, einen wichtigen Teil des re:publica Erfolgs aus: die diverse Mischung ihrer Besucher. Was sie konkret unternehmen, erzählen uns die Veranstalter im Interview.

Wir haben mit Julia Simone Ismiroglou, CEO von newthinking communications (Gesellschafter der re:publica GmbH), und Simone Orgel, Project Director der republica, gesprochen.

Interview: Inklusion und Diversität bei Events und Konferenzen

Die re:publica verfügt über ein vorbildlich großes barrierefreies Angebot. Was bietet ihr Menschen mit Behinderungen alles an?

Simone: BarriereFreiheit ist ein hehres Ziel, denn Barrieren sind so unterschiedlich wie die Menschen einer Gesellschaft. Wir sprechen daher lieber von Barrierearmut an der wir nicht zuletzt dank dem Feedback aus unserer Community stetig arbeiten, um besser zu werden. Das fängt bei der Zugänglichkeit zu Veranstaltungsflächen an und hört bei der Zugänglichkeit zu und an re:publicas Inhalten noch nicht auf. Menschen mit körperlicher Einschränkung sind bei uns nicht nur Gäste, sondern auch Speaker mit großartigen und wichtigen Inhalten und das längst nicht nur im Bezug auf Barrierearmut. Alle unserer Session sind dank Video- & Audiorecording auch nachträglich anseh- und hörbar und auf Stage 1 on top auch dank den Live-Untertiteln von VerbaVoice auch lesbar. Das ermöglicht auch Gästen mit Hörbehinderung an den Sessions teilzuhaben.

Hat Inklusion auch bei allen Events von newthinking einen hohen Stellenwert oder gibt es Unterschiede?

Julia: Zunächst einmal müssen wir sagen, dass wir Inklusion nicht allein auf Menschen mit Behinderung beziehen. Für uns schließt Inklusion auch Diversität mit ein: Frauen*, People of Color, Menschen aus LGBTIQA-Communities, GeringverdienerInnen sowie Menschen mit Behinderungen sollen teilnehmen können und sich genauso wohl fühlen, wie alle anderen auch.

Generell denken wir Inklusion bei allen Events mit: Je nach Venue, Thema, Ticketpreis und Sponsoringsituation der Veranstaltung ist Inklusion auf unterschiedliche Art und Weisen möglich. Inklusion hat aber immer den gleichen Stellenwert.

Wonach entscheidet ihr welche Vorträge oder Bereiche mit Angeboten ausgestattet werden?

Simone: Großartig wäre es alle 17 re:publica Bühnen in mindestens vier Sprachen zu übersetzen – natürlich immer auch mit Schriftdolmetschung! Das wäre noch wesentlich barriereärmer, aber wir müssten uns überlegen, wie wir die Ausgaben im knapp sechsstelligen Bereich wieder reinholen. Teurere Tickets beispielsweise würden an anderer Stelle wieder Barrieren aufbauen, das wäre keine Lösung.
Kurz: Es geht um eine Sensibilität für die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Gäste und um eine Balance der Angebote dazu. Daher starten wir in dem uns möglichen Rahmen an den größten Bühnen, bei denen unser Programmteam im Vorfeld schon die Sessions geplant hat, die voraussichtlich das größte Interesse wecken.

Julia: Da alle unsere Veranstaltungen mindestens zwei Keynotes haben, versuchen wir die Keynotes so zu besetzen, dass wir eine Genderbalance haben. Wir wollen damit signalisieren, dass Repräsentation für uns ein Thema ist. Unsere Keynotes sowie alle publikumswirksamen Talks befinden sich in Räumen, die barrierefrei erreichbar sind. Menschen mit Behinderungen können im Vorfeld der Konferenz an uns herantreten und fordern, dass sie diese oder jene Talks anschauen möchten und diese erreichbar sind. Zudem bieten wir für viele Talks in diesem Jahr Audiostreaming und Videorecording an und stellen die Aufnahmen danach kostenfrei zur Verfügung.

Gibt es konkrete Dienstleister oder Medien, mit denen ihr in dem Bereich zusammenarbeitet?

Julia: Ja, wir achten beispielsweise darauf, dass die Venues sowie Hotelkontingente barrierefrei sind, über Aufzüge und barrierefreie Toiletten verfügen.
Zudem laden wir SprecherInnen nicht nur ein, sondern rufen in einem Call for Paper dazu auf, Vorschläge für Sessions einzureichen. Dieser wird von einem Programmkomitee ausgewertet, das aus ExpertInnen aus den unterschiedlichsten Kontexten besteht. Zudem arbeiten wir mit unterschiedlichen MedienpartnerInnen sowie mit Communities zusammen, die divers aufgestellt sind.

Um beispielsweise das Wissen unserer Konferenzen für eine breite Masse zur Verfügung zu stellen, haben wir dieses Jahr eine Medienpartnerschaft mit Voice Republic, die bisher alle unsere Talks gestreamt haben. Außerdem vergeben wir Rabatte und Freitickets an Communities, um mehr Menschen für unsere Themen wie Android, Coding und Big Data zu begeistern.

Wie ist es dazu gekommen, dass ihr bei der re:publica recht viel in dem Bereich macht? Seid ihr von euch aus auf die Idee gekommen? Haben sich andere an euch gewandt?

Simone: Sowohl als auch. re:publica ist als Gesellschaftskonferenz gestartet und seit ihren Anfängen eine Plattform für ein heterogenes Mix aus Menschen, Perspektiven und Meinungen. Dafür waren wir von Anfang an sensibel und damit auch einiges von Anfang an klar, wie beispielsweise das Ziel gleich viele weibliche wie männliche Gäste & Speaker willkommen zu heißen. Und yay! Zur letzten re:publica durften wir 49 % weibliche Gäste willkommen heißen. Eine Zahl, die leider immer noch eine Rarität bei Veranstaltung mit vergleichbarer Ausrichtung ist.

Bei anderen Bereichen haben wir gelernt, wie z.B. bei diesem Tweet Anfang des Jahres: „Gibt es eigentlich Transgendertoiletten auf der re:publica?“. Die gab es nicht und sie konnten in unserer Location STATION Berlin auch nicht fix gebaut werden. Also haben wir extra Toilettenschilder designed und produziert, die nicht auf die übliche Geschlechtsikonografie zurückgreifen, sondern schlicht ein Pissoir und eine Sitztoilette abbildet. Das mag vielleicht nur wie eine Kleinigkeit anmuten, aber auf genau die kommt es an.

Welche Angebote werden bei den Events von newthinking viel genutzt, gehören somit zu den Wichtigsten, und welche eher selten?

Julia: Unsere Recordings von der droidcon Berlin und auch von der Berlin Buzzwords werden viel genutzt, allerdings lassen sich andere Bereiche nicht messen. Wir würden uns generell wünschen, dass bei unseren EntwicklerInnen-Konferenzen mehr Frauen, PoCs, Menschen aus der LGBITQA-Communities sowie Menschen mit Behinderungen an unseren Call for Papers teilnehmen, allerdings läuft das mittlerweile schon besser.

Und wie ermittelt ihr die Nachfrage? Fragt ihr z.B. bei der Anmeldung mögliche Behinderungen und notwendige Angebote ab?

Julia: Wir fragen keine Behinderungen oder Angebote ab. Allerdings kam aus der Berlin Buzzwords- und auch aus der Codemotion Berlin-Community dieses Jahr die Nachfrage nach barrierefreien Räumen und einem erweiterten Code of Conduct. Wir haben das so schnell wie möglich bearbeitet, die Venue angefragt, Wege zur Konferenz gecheckt sowie Hostels und Hotels auf Barrierefreiheit überprüft, alles zusammengefasst und veröffentlicht sowie unseren Code of Conduct überarbeitet.

Wie aufwändig und teuer ist es eurer Erfahrung nach, barrierefreie Angebote bei einem Event einzubinden?

Julia: Wir zahlen monetär gesehen nicht mehr, aber es fallen natürlich Arbeits- und Recherchestunden an, die wir nicht auf die Ticketpreise umlegen. Dies sehen wir als Service für unsere BesucherInnen.

Simone: Das ist schwer pauschal zu beantworten. Toilettenschilder: einfach und günstig. Dolmetscher: nicht aufwendig, aber schon teurer. Schriftdolmetscher: nicht aufwendig, aber ebenfalls eine Investition. Sensibilisierung für ein barrierearmes Angebot: unter Umständen aufwendig, aber kostenlos. Das meint auch Barrierearmut: Es geht nicht darum, alle Barrieren auf einmal einzureißen. Der wichtigste Schritt ist die Bereitschaft die eigenen Scheuklappen zu öffnen, denn die eigene Perspektive ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die von allen bestehenden und potentiellen Teilnehmenden, Speakern und Partnern.

Habt ihr eine bestimmte Person, die für Inklusion zuständig ist oder läuft es in der Planung einfach mit?

Julia: Wir arbeiten alle an dem Thema Inklusion und versuchen es im Projektmanagement mitzudenken. Wir haben aber zwei Personen, die sich dem Thema Diversität widmen und dazu gehört auch Inklusion.

Simone: Inklusion ist Teil re:publicas und damit des gesamten Teams. Jeder ist sich dessen bewusst, dass sein Bereich so barrierearm wie möglich gestaltet wird – vom Programm bis zum Catering.

Einige VeranstalterInnen gehen davon aus, dass in ihrem Fall kein Bedarf ist, da Menschen eher selten oder gar nicht danach fragen. Wie ist eure Erfahrung? Kommt die Nachfrage erst mit dem Angebot?

Julia: Letztlich liegt das in der Verantwortung des Veranstalters. Man kann sich da nicht rausreden, es wird immer irgendeine Schnittstelle geben über die man nachdenken sollte. Was gutes Veranstaltungsmanagement ausmacht, ist, dass man diesen weiten Blick für alles hat.
Ein Beispiel: Als wir aktiv auf weibliche EntwicklerInnen zugegangen sind und sie ermutigt haben in unseren Call for Papers einzureichen und wir zudem angefangen haben, auch bei unseren Keynotes auf eine ausgeglichene Gender-Balance zu achten, waren auch im Publikum mehr Frauen. Und so etwas braucht natürlich auch Zeit und Geduld, auch auf Veranstalterseite.

Simone: Die Frage, ob das Angebot die Nachfrage kreiert oder vice versa, ist die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Und auch nicht die Relevante. Nur zwei von vielen Beispielen: Wenn ich keinen Bedarf sehe, die Perspektive von Menschen mit Behinderung zu integrieren, ignoriere ich 15 % und bei Frauen knapp 50 % der Weltbevölkerung und damit auch aller Kaufentscheidungen, Potentiale, Kommunikationsformen, Bedürfnisse, etc. Keinen Bedarf zu sehen, ist also nicht nur ignorant, sondern auch schlicht nicht zukunftsgewandt.

Vielen Dank für das Interview und die Einblicke!


Zusammenfassende Maßnahmen der re:publica Veranstalter:

Zugänglichkeit zu Veranstaltungsflächen

  • Gute Beschilderung bzw. ein gutes Leitsystem sind zentral
  • Sind alle Wege für alle TeilnehmerInnen gangbar? Treppen oder sogar nur einzelne Stufen und Schwellen vermeiden. Falls nicht möglich: alternative Wege aufzeigen (Rampen an anderen Zugängen, Aufzüge etc.)

Live-Untertitel

  • Ausgewählte Vorträge werden live transkribiert und als Untertitel auf eine Leinwand projiziert. TeilnehmerInnen sind nicht darauf angewiesen, alles zu hören.

Video- und Audiorecording

  • Vorträge, Diskussionen etc. werden aufgezeichnet und anschließend im Internet kostenfrei zur Verfügung gestellt. Inhalte sollen auch für Menschen abrufbar sein, die z.B. keine Zeit hatten oder sich ein Ticket nicht leisten konnten.

Inhaltliche Einbindung einer möglichst großen, diversen Auswahl an Personen

  • Call for Papers gibt jedem die Möglichkeit ein Teil der Veranstaltung zu werden und sie inhaltlich mitzugestalten.
  • Auswahl aus dem Call for Papers durch ein unabhängiges, externes Programmkomittee – hier wird versucht eine möglichst diverse Zusammensetzung zu gestalten, was Personen und Themen angeht.
  • Themen kommen direkt aus der Zielgruppe, so werden auch Aspekte berücksichtigt, die man bei einer Top-Down-Kuration eventuell übersehen würde.
  • Offene Formate wie z.B. Barcamps helfen zusätzlich aus BesucherInnen TeilnehmerInnen zu machen.

Transgendertoiletten

  • Berücksichtigung von Geschlechtsidentitäten außerhalb der männlich-weiblich-Unterscheidung für eine größere Teilhabe von Transgender-Personen.

Barrierefreie Hotelkontingente

    Betrifft Hotels für Referenten sowie Hotelempfehlungen für TeilnehmerInnen

  • Barrierefreie Zimmer, aber auch kurze, barrierefreie Wege zur Veranstaltung, z.B. barrierefreier Zugang zum ÖPNV in der Nähe des Hotels.

Gezielte Ansprache von Frauen, PoCs, Menschen aus LGBITQA-Communities, sowie Menschen mit Behinderung

  • Recherche nach Communities, Meet-up-Gruppen etc. und anschließende konkrete Einladung im Call for Papers einzureichen und die Veranstaltung zu besuchen.
  • Wenn möglich auch eine gezielte Vergabe von vergünstigten oder kostenlosen Tickets.
  • Veranstaltern wird eine Code of Conduct und Wege diesen Durchzusetzen angeboten.
  • Offen mit dem Thema umgehen, (potentielle) TeilnehmerInnen nach ihren Bedürfnissen/Anforderungen fragen und den eigenen Blick schärfen.
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