Virtuelle Erlebnisformate und digitale Events sind seit der COVID-19-Pandemie keine Seltenheit mehr. Doch Fragen und offene Themen gibt es zur Genüge. Beispielsweise welchen Unterschied es macht, ob Menschen über ein Videokonferenz-Tool an einer Veranstaltung teilnehmen oder als Avatare durch einen virtuellen Raum schweben? Bietet der Einsatz Vorteile? Und wenn ja, wie kann man die Akzeptanz und Erlebnisqualität verbessern?
In einem Interview aus dem Eventdesign Jahrbuch 2021/22 beantwortet Alexander El-Meligi, Managing Partner & Creative Director bei Demodern, genau diese Fragen. Wir freuen uns, das komplette und ungekürzte Interview hier im Blog veröffentlichen zu können.
Interview aus dem Eventdesign Jahrbuch 21/22: Der Mensch als Avatar
Welchen Unterschied macht es, ob ich TeilnehmerInnen regulär oder als Avatar bei digitalen Events integriere?
Alexander El-Meligi: Der große Unterschied ist, dass der Raum und die räumliche Präsenz der Teilnehmenden eine Relevanz und Aufgabe bekommt. Stell dir eine Produktpräsentation per Videokonferenz vor. Hier siehst du nur die Bilder oder Szenen, die präsentiert werden, aber gegebenenfalls keine Details, für die du dich vielleicht besonders interessierst. Wärst du als Avatar im 3D-Raum präsent, könntest du das vorgestellte Produkt selber explorieren. Zudem kannst du mit anderen Avataren oder Teilnehmenden frei interagieren und dich austauschen.
Als GastgeberIn biete ich den Gästen mit einem 3D-Raum eine Experience an, in der sie Produkte selbst erkunden und Inhalte sowie Informationen so konsumieren können, wie sie es möchten. Dies steigert das Engagement, die Verweildauer, den Informationsgehalt sowie das Erlebnis und die Zufriedenheit der Gäste. So sind sie nicht nach kurzer Zeit von der passiven Videopräsentation gelangweilt, sondern können selbst Teil der Experience werden.
Die Konzeption sowie technische Umsetzung eines 3D-Raumes, den ich als Avatar explorieren kann, ist natürlich umfangreicher als die Planung einer reinen Videopräsentation. Hier muss man berücksichtigen, dass Gäste sich frei im Raum bewegen können, sodass dieser so gestaltet sein sollte, dass man sich zurechtfindet und den Raum, die Wege und die Inhalte im besten Fall selbsterklärend versteht. Dazu kommt natürlich auch die Entwicklung einer technisch umfangreichen (Server-)Infrastruktur, welche unter anderem die 3D-Daten der Avatare, Video- sowie Audiochat-Daten und viele weitere Features einer 3D-Realtime-Experience mit Avataren erst ermöglicht.
Die Gestaltung trägt maßgeblich zur Akzeptanz bei. Zum Beispiel empfinden wir möglichst realitätsgetreue, menschliche Avatare als seltsam. Abstrakte(re) Figuren werden leichter angenommen. Gibt es weitere Aspekte, die die Akzeptanz fördern bzw. hemmen?
Alexander El-Meligi: Das von Masahiro Mori in 2012 in seinem Essay “The Uncanny Valley” beschriebene oder beobachtete Phänomen bezieht sich auf Avatare, virtuelle Charaktere oder auch Roboter, die sehr menschenähnlich oder realistisch sind oder sein sollen, aber aufgrund von kleineren Abweichungen oder Mängeln zu einer Ablehnung oder auch zu Unwohlsein des Betrachters führen.
Das Thema Design sollte man an dieser Stelle ganzheitlich sehen und auch das Verhalten, Animationen, Bewegungen, Mimik und Gestik einbeziehen. Daher beschäftigt das Thema „Eye-Tracking in Virtual Reality“ einige EntwicklerInnen und Unternehmen. Je natürlicher das Verhalten dargestellt wird, umso leichter kann es auch von anderen Nutzenden verstanden und angenommen werden. Erlernte Aktionen und Reaktionen wie beispielsweise Jubel, Applaus, Winken oder Tanzen können das Erlebnis positiv steigern und Nutzende können sich über die Avatare umfangreich ausdrücken. Das geht natürlich auch mit sehr abstrakten oder stilisierten Avataren und Emojis.
Die Personalisierung von Avataren steigert die Akzeptanz. Dabei können NutzerInnen den Avatar so anpassen können, dass er dem eigenen Geschmack oder Ästhetikempfinden entspricht. Menschen scheinen diese Freiheit in der Darstellung auch zu nutzen, um offensiver auf andere Personen zuzugehen oder sich vielleicht aktiver als im realen Leben mit anderen NutzerInnen zu vernetzen.
Daher würde ich ergänzen, dass gelernte menschliche Reaktionen, Aktionen, Animationen, Bewegungsfreiheit sowie die Gestaltungsfreiheit oder Konfigurierbarkeit von Avataren auch deutlich zur Akzeptanz beiträgt.
Wie habt ihr die Pandemie bislang erlebt? Was wird Dir aus 2020/21 besonders in Erinnerung bleiben?
Alexander El-Meligi: Im Großen und Ganzen natürlich die vielen Herausforderungen. Und das auf vielen Ebenen. Im Kundenbereich haben wir teilweise tolle Erfahrung gemacht, da wir noch enger mit Kunden und Partnern zusammengearbeitet und tolle Lösungen entwickelt haben. Aber auch sehr negative Erfahrungen, da wir plötzlich vielleicht mehr als zuvor als Wettbewerb angesehen wurden und weniger als konstruktiver Partner. Hier werden mir sicher einige Erlebnisse noch lange in Erinnerung bleiben.
Unsere Organisation und Struktur wurde auf die Probe gestellt. Wir sind schnell zusammengerückt und haben gemeinsam Wege gefunden, wie wir kommunizieren und zusammenarbeiten. Das war toll zu sehen und ich bin sehr stolz darauf, mit so tollen Menschen zusammenzuarbeiten. Die große Herausforderung ist sicher weiterhin, wie man Kultur und Identifikation in Zeiten von Remote Work oder Corona sicherstellen und steigern kann.
Was sich sonst seit der Pandemie in der Live-Kommunikation getan hat? Wer sich dafür interessiert, sollte einen Blick in das aktuelle Eventdesign Jahrbuch 2021/22 werfen. Über 40 Projekte, die vor und seit der Pandemie stattgefunden haben, zeigen konkrete Entwicklungen und Veränderungen bei Markenerlebnissen und öffentlichen Veranstaltungen. Darüber hinaus teilen sieben GesprächspartnerInnen ihre Erkenntnisse und Erfahrungen zu verschiedenen Schwerpunkten. Besprochen werden aktuell wichtige Themen wie der Einsatz von Avataren, aber auch digitale Interaktion, Hybride Events, die Kreation digitaler Erlebnisse oder eine kontaktlose Zukunft.
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