Spätestens seit der COVID-Pandemie gehören Online Erlebnisse ebenso zur Live-Kommunikation wie physische Erlebniskonzepte. Doch noch haben die meisten virtuellen Projekte nicht die Erlebnisqualität erreicht, die wir eigentlich suchen. Allerdings bedeutet das nicht, dass digitale Erlebnisse grundsätzlich schlechtere Erlebnisse sind und bleiben werden. Vielmehr befinden sich GestalterInnen noch auf der Suche nach Methoden. Und nicht zuletzt müssen auch BesucherInnen noch lernen mit virtuellen Räumen und Erlebnissen umzugehen.
Einen interessanten Vortrag zum Thema gab es auf der raumwelten Konferenz 2021 von Allison Crank, einer UX Designerin & Forscherin. In ihrer Keynote „The Fourth Place – The Future of Online Social Space“ sprach sie über Konzepte und Erkentnisse, die im gleichnamigen Tutorium mit Studierenden der Melbourne Design School (MDS) entstanden sind.
Ebenso wie viele von uns hatten auch Allison Crank und die Studierenden genug von drögen Online-Meetings. Sie stellten sich daher die Aufgabe, digitale soziale Räume zu entwickeln, die Antworten auf die Pandemie-bedingte Isolation und den Mangel an realen Erlebnissen der Studierenden lieferten. So entstanden unterschiedliche Ansätze und Konzepte, Menschen zusammenzubringen, reale Erlebnisse in virtuelle Welten zu übersetzen oder zu erweitern sowie emotionale Hilfestellungen anzubieten.
Fünf Ergebnisse dieses Tutoriums könnt ihr euch im Folgenden als Kurzzusammenfassung anschauen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Konzepten (den Links folgen) ist jedoch ratsam.
Grundgedanken digitaler oder virtueller Erlebnisse
Interessante Aussagen aus der Gesprächsrunde nach der Keynote
Navigation: Über die Tastatur oder einen Controller durch virtuelle Welten zu navigieren, ist ein körperlich betrachtet eher langweiliges und den Menschen wenig einbindendes Erlebnis. Körpereinsatz (z.B. entsprechende Armbewegungen, um an einem Seil hochzuklettern oder an etwas zu ziehen) verbessert die Erlebnisqualität dagegen deutlich mehr und wird ein wichtiger Aspekt sein.
Gestaltung: Wir sollten aufhören physische Räume virtuell nachzubilden! Zum einen schöpfen wir so nicht annährend die Möglichkeiten aus, die uns das Virtuelle bietet. Zum anderen ist die Gefahr in einem solchen Fall sehr hoch, dass das Erlebnis enttäuschend ist. Es braucht ein gewisses Maß an Verrücktheit, um neue, unabhängige und überraschende digitale Erlebnisse zu gestalten! Allerdings müssen sich noch viele BesucherInnen an solche ungewohnten virtuellen Raumerlebnisse gewöhnen und lernen damit umzugehen. Oder anders gesagt: Die Menschen müssen aktuelle Konzepte erst noch verlernen.
Was macht eine digitale Welt interessant?
- Verschiedene Ebenen, die nicht alles auf den ersten Blick verraten und NutzerInnen immer tiefer eintauchen lassen.
- Angebote und Erlebnisse, die überraschen und die Neugier wecken.
- Das Spiel mit dem Maßstab: Bewusst mit den Größenverhältnissen spielen, BesucherInnen z.B. anfangs in einen vertrauten Maßstab setzen und plötzlich alles riesig oder winzig klein erscheinen lassen. Beispiel: „Worlds in Worlds“
5 experimentelle Konzepte für soziale Online Erlebnisse
Studierenden-Projekte aus dem Tutorium „The Fourth Place – The Future of Online Social Space“ der MSD
MSD Re-imagined
Erkundung durch Massstab, Zeit und Raum
MSD Re-imagined ist eine virtuelle Plattform, die Architektur-Studierende zusammenbringt, um stärkere, vielfältigere Netzwerke und sozialen Input zu fördern. Das Projekt verwandelt die Vertrautheit der Universität, ihre Architektur, die Aktivitäten und die Kultur in ein unterhaltsames, spannendes und immersives Erlebnis. Durch das Spiel mit Größenverhältnissen, die im physischen Bereich unmöglich wären, verwandeln sich immaterielle Ideen in räumliche, virtuelle Architektur. MSD Re-imagined lässt die Studierenden in Welten innerhalb der Welten eintauchen, wobei jede einzelne einen intimeren Raum für persönliche Interaktionen und Aktivitäten schafft.
The Quad
Digitaler Raum für emapthische Interaktion zwischen Studierenden, Alumnis und Interessierten
Aufgrund von COVID wurden die Erlebnisse, die Studierende auf dem Campus gehabt hätten, auf Bildschirm-Gespräche reduziert. Trotz digitalem Austausch blieben die Studierenden letztlich alleine in ihren vier Wänden. The Quad möchte helfen, diesen Widerspruch zu erforschen und zu beseitigen, indem es die Verbindungen und Ereignisse, die offline stattfinden, in ihr Online-Leben überträgt. Die immersive Erfahrung wird durch die Erweiterung der Empathie im Raum geschaffen. Kubische infrastrukturelle Kabinen für verschiedene Aktivitäten und der Einsatz von Multi-Gravitation zelebrieren die verschiedenen Facetten des Universitätslebens und des Individuums. Der Quad erweitert ihre Perspektive über ihre Wohnung hinaus und bietet ihnen eine multidimensionale Welt, in der sie Mitglieder der Universitätsgemeinschaft treffen können.
Cyberfilm Festival
Eintauchen in die 4. Dimension
Animationsfilme spielen sich in vielseitigen, hochkomplexen 3D-Umgebungen ab. Obwohl wir diese Welten meist als zweistündige Filme erleben, wird jeder einzelne von RegisseurInnen und dem künstlerischen Team sorgfältig als ein komplettes Geschichtenuniversum entworfen und gestaltet. Das Cyberfilm Festival übersetzt diese Welt und die 3D-Inhalte des Films in faszinierende Geometrien, die die Interaktion der Benutzenden untereinander und mit den Filmwelten hervorrufen.
Da COVID viele Filmfestivals und Konferenzen auf der ganzen Welt beeinflusst hat, sind die resultierenden Online-Versionen nur ein Schatten ihrer realen Gegenstücke. Das Cyberfilm Festival versucht, dieses Problem der realen Welt zu lösen, indem es die Schlüsselelemente von Festivals (Interaktion, Networking, Diskussionen) in digitale Gegenstücke übersetzt und sie mit der Immersion und Verspieltheit verbindet, die nur das Virtuelle bieten kann.
Immersive Panels übersetzen die 3D-Assets der Filme in eine nahbare 1-zu-1-Skala-Erfahrung. BesucherInnen können die Stars der 3D-Filme auf eine neue Art treffen. SynchronsprecherInnen verwenden die Avatare ihrer Filmfiguren für Filmpanels, Interviews und Diskussionen mit den FestivalbesucherInnen. Wie in der Realität können die Besuchenden Fotos mit den Avataren der Filmfiguren machen und diese in den sozialen Medien teilen.
Escape
Nützliche Realitätsflucht
Wenn Menschen niedergeschlagen sind, wünschen sie sich, der Realität für einen Moment zu entfliehen. An einen friedlichen Ort, an dem sie sich besser fühlen. Escape ist eine soziale Online-Plattform, inspiriert von Alice im Wunderland, die durch ein Kaninchenloch sprang, um in eine andere Welt zu entkommen. Obwohl Alice wusste, dass sie ihre Traumwelt irgendwann verlassen würde, erinnerte sie sich nach ihrer Rückkehr in die Realität an all die Dinge, die sie während ihres Abenteuers gelernt hatte, und behielt diese Werte bei sich, als sie erwachsen wurde. Wie das Kaninchenloch ist auch Escape ein Ort, an dem Menschen für eine Weile entkommen und andere treffen können.
Die NutzerInnen entwerfen Avatare, die ihre aktuellen Gefühle widerspiegeln, teilen einige persönliche Informationen und wählen Elemente aus, die ihre Hobbys, Leidenschaften oder Interessen repräsentieren. Escape sucht dann nach verfügbaren NutzerInnen, mit denen man sich unterhalten kann und die ähnliche Interessen oder Ziele haben. Während sie in den Kaninchenbau fallen, können sie eine Person auswählen, mit der sie sich unterhalten möchten (oder nach einem Freund suchen). Wenn die Einladung angenommen wird, gelangen die NutzerInnen in ihren eigenen Raum, wo sie sich unterhalten oder gemeinsam ein Rätsel lösen können.
The Untitled Gallery
Galerieräume als neu konzipierte, immersive Erlebnisse
Das Projekt möchte den Mangel an Interaktion in musealen Räumen schließen. Interaktion wurde demnach schon immer durch den physischen Raum beeinträchtigt, durch die Covid-Pandemie allerdings noch weiter verstärkt. In der Untitled Gallery sollen Menschen ermutigt werden, die Details und die Intention von Michelangelos Skulpturen auf immersive Weise zu erkunden. Die Werke werden dafür in extrem detaillierte Einzelteile auseinandergenommen und in mundgerechte Erfahrungen verwandelt. Diese Reise von der Mikro- in die Makroperspektive soll die anfängliche Wahrnehmung der Skulpturen verändern und gleichzeitig soziale Interaktionen zwischen den BesucherInnen fördern.
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