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Inszenierungen mit Virtual Reality: „Golem“ erforscht die Möglichkeiten analoger und virtueller Welten

Von Katharina Stein 2.12.2019 ~7 Minuten Lesezeit

Es gibt bereits einige Virtual Reality Anwendungen in der Produktinszenierung. Marken inszenieren sich in virtuellen Welten oder bieten zusätzliche Inhalte mithilfe von Augmented Reality. Noch konzentrieren sich diese Angebote u.a. auf informative Ergänzungen oder sind schlicht unterhaltsame Gimmicks. Doch wie könnte eine eindrucksvolle, künstlerische Inszenierung mit Virtual Reality aussehen?

Das Forschungs- und Tanzprojekt „Golem“ wollte genau das experimentell erforschen. Welche narrativen Ansätze bestehen, um eine Geschichte mit Virtual Reality zu entwickeln? Wie können analoge und virtuelle Teile miteinander kombiniert werden? Eine erste Erkenntnis: Zu den größten Herausforderungen gehören die Dramaturgie und das Storytelling.


Über das Projekt, die Herausforderungen und Erkenntnisse von Golem habe ich mit Christian Schmachtenberg, Professor für Experience Design an der Hochschule Kaiserslautern, gesprochen.


Eine VR Perfomance als Forschungsprojekt

Hinter „Golem“ steht ein internationales Team aus verschiedensten Fachbereichen. Initiiert und geführt wurde das Projekt von der amerikanischen Choreografin und Fulbright-Stipendiatin Carly Lave. Sie arbeitet derzeit am Gamelab.Berlin, eine Forschungs- und Entwicklungsplattform der Humboldt Universität zu Berlin, die auch bei Golem beteiligt war. Technische Unterstützung bei der Gestaltung der virtuellen Umgebung kam mit einer Gruppe Studierender des Virtual Design Labs der Hochschule Kaiserslautern hinzu. Die Sound Designerin Arushi Jain alias Ghunghru entwickelte das Klangumfeld des Projekts.

Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist ein immersives, experimentelles Tanzprojekt, das den physischen Körper in der virtuellen Welt erforschte. Mithilfe von Technologien wie Motion-Capture, Virtual Reality Headsets, digitalen Avataren und einer physischen Bühne wurden Kunst und Technik – analoger Tanz und virtuelle Räume – miteinander kombiniert.

Golem wurde zwar auch online gestreamt, doch die analoge Aufführung war ein zentraler Bestandteil des Konzepts. In den Uferstudio in Berlin wurde die einstündige Performance vom 25. bis 27. Juli 2019 aufgeführt. In einem der ehemaligen Schwimmbecken interagierte die Tänzerin mit einer live projizierten Darstellung ihres Körpers in sieben virtuellen Räumen. Die 80-120 Zuschauer konnten von oben auf die Performance schauen, die Tänzerin und die Projektion sehen als auch über eine VR-Brille in die virtuelle Performance eintauchen. Analoge und virtuelle Elemente sollten bewusst verbunden, erweitert und kombiniert werden – anstatt einfach Reales durch Virtuelles zu ersetzen.

Inhaltlich beschäftigte sich die experimentelle Tanz-Performance mit dem Begriff des Narzissmus. Wie vor einem Spiegel entdeckt die Tänzerin ihren Avatar im virtuellen Raum. Zunächst erforscht sie sich und spielt mit dem Avatar, bekommt letztlich aber auch Angst.

Man muss erst einmal herausfinden, wie man Geschichten erzählen kann

Die Herausforderungen im Entwicklungsprozess lagen darin herauszufinden, wie Bewegungen in Virtual Reality wirken, wie Emotionen vermittelt werden können, welche narrativen Ansätze bestehen, um eine Geschichte zu erzählen, und wie eine Dramaturgie auf so vielen Ebenen entwickelt werden kann.

In einer Projektlaufzeit von nur 3 Monaten tastete sich jeder Teilbereich an die Möglichkeiten heran. Dazu gehörte unter anderem, dass Carly Lave zunächst einmal gezielte Bewegungen für VR suchen und entwickeln musste. Bei der Gestaltung des virtuellen Designs stellte sich ebenso die Frage, wie der Avatar und einzelne virtuelle Räume aussehen können, welche Effekte aus und zusammen mit den analogen Bewegungen im Sinne der Geschichte möglich sind.

Die Herausforderung ist ein schier unendliches Feld an narrativen Ebenen

Weicht man einmal von den gängigen Herangehensweisen ab, eröffnet sich ein schier unendliches Feld an narrativen Ebenen und Gestaltungsmöglichkeiten. Für Christian Schmachtenberg ist das eine zentrale Erkenntnis von Golem. „Wenn man sich beispielsweise eine Tänzerin vorstellt, die von rechts nach links springt. In Virtual Reality kann man den Sprung mit verschiedensten Effekten unterlegen, die Bewegung aufbrechen, etwas dazwischen einfügen und so letztlich etwas ganz anderes als den realen Tanz schaffen. Oder man könnte es mithilfe von Augmented Reality aufführen und die realen Bewegungen mit virtuellen Effekten kombinieren.“

Die große Herausforderung liegt nur darin, eine konsistente und interessante Dramaturgie zu entwickeln. Die vielen verschiedenen Ebenen und Möglichkeiten, die nicht lineare Story einer Tanz Performance – das Storytelling für Golem brachte auch den praktisch erfahrenen Kreativdirektor an seine Grenzen. Alleine für diesen Teil müsste man seiner Meinung nach Monate einplanen und mehrere Personen in stetigem Austausch zusammenarbeiten lassen. Wichtig ist dieser Aspekt, weil man hierüber die Qualität eines künstlerischen VR, AR oder MR Projekts bestimmt. Ansonsten wird es schnell zu einem aktuell angesagten, aber oberflächlichen Gimmick.

Ein anderer Aspekt ist die Programmierung. Die virtuellen Räume von Golem wurden mit der Software Unity programmiert. Eine Entwicklungsumgebung, die normalerweise für Computerspiele, aber immer öfter auch für experimentelle Medienprojekte, genutzt wird. „Technologie ist anfällig für Fehler. Was heute funktioniert, muss morgen nicht unbedingt wieder funktionieren,“ weiß Christian Schmachtenberg spätestens nach Golem. „Man braucht schon sehr versierte ProgrammiererInnen – denn man muss viel ausprobieren, bis es wirklich funktioniert.“

Nicht zuletzt war laut Schmachtenberg die Kommunikation eine große Herausforderungen. Damit meint er nicht nur zwischenmenschliche Sprach- oder Verständnisprobleme. Auch eine schlechte Internetverbindung kann ein internationales Team enorm behindern. Das ist allerdings keine neue Erkenntnis für den heutigen Professor, der schon an vielen internationalen Projekten beteiligt war: „Das ist ein häufiger Grund dafür, dass Projekte zu scheitern drohen.“

Agenturen brauchen mehr ProgrammiererInnen

Bedenkt man, wie wichtig die Programmierung und Kommunikation sind, überrascht es nicht, dass Christian Schmachtenberg für mehr ProgrammiererInnen in Agenturen plädiert. Spezifische und gute Programmierkenntnisse, ein schneller und enger Austausch sind wichtige Erfolgsfaktoren für künftige VR Anwendungen. Ebenso bedeutend ist die möglichst frühe Zusammenarbeit mit Hochschulen und Künstlern, findet er. „Man muss dieses Themenfeld erforschen, um schon jetzt eine Vorstellungen davon zu gewinnen, wie die Zukunft mit Virtual Reality aussehen kann.“

Dies gilt es zunächst einmal experimentell auszuloten. Eine Aufgabe, die in allen kreativen Bereichen zumeist Künstler oder wie in diesem Fall auch Hochschulen übernehmen. Schließlich ist es keine Seltenheit, dass Kunstprojekte im späteren Verlauf als Produktinszenierungen wieder auftauchen.

Virtual Reality muss emotionaler werden

Welche Anwendungen im Rahmen von Produktinszenierungen denkbar sind, lässt Christian Schmachtenberg beim Gespräch offen. Das muss im Einzelfall erarbeitet werden. Natürlich könne eine Firma beispielsweise eine „virtuelle Arena“ gestalten und Menschen aus aller Welt als Avatare einladen, anstatt sie durch die Welt fliegen zu lassen. Das wird zum Teil auch schon gemacht. Sein Interesse liegt aber vielmehr in der jeweiligen Gestaltung dieser Arena. Man kann natürlich ein realitätsnahen Ort abbilden. Man könnte aber auch die virtuellen Gestaltungsmöglichkeiten ausreizen und etwas Neues gestalten. Die Frage ist eben nur, wie das aussehen kann, wie man in diesem Umfeld Emotionen vermittelt, wie man Geschichten erzählt oder Ziele erreicht!

Eine zukunftsentscheidende Aufgabe ist es virtuellen Räumen mehr Emotionalität zu verleihen. Noch mangelt es vielen VR-Projekte daran. Durch abstrakte Personen oder schlechte inhaltliche oder gestalterische Qualität wirken die Angebote künstlich und berühren die Menschen nicht. Noch begeistert Virtual Reality oft nur die Technik-Geeks. Doch um eine breitere Masse an Menschen zu erreichen, müssen virtuelle Erlebnisse Emotionen transportieren.

Was es dafür braucht? Laut Christian Schmachtenberg müssen hierfür gute Inhalte, gute Gestaltung und gute Technologie miteinander verbunden werden. Wenn schon eines davon qualitativ nicht überzeugt – was aktuell häufig der Fall ist – dann funktioniert das ganze Projekt nicht. Und das ist eine große Herausforderung und ein Kernelement für zukünftige Inszenierungen rund um Virtual-, Augmented- und Mixed Reality!

Golem – Ein Zusammenschnitt der Live-Performance

Golem – The Making of

Fotos: Screenshots aus dem Video

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