„Sex-Orgie“ und „Live-Porno für Herrn Kaiser“ – mit diesen Schlagzeilen berichteten „Bild“ und „Stern“ über eine Vergnügungsreise der HMI Versicherung (heute ERGO) nach Budapest. Geplant war sie als Belohnung für Top-Verkäufer des Unternehmens – ein Incentive im klassischen Sinne des Wortes. Geblieben ist, als die Geschichte öffentlich wurde, ein katastrophaler Imageschaden für das Unternehmen und vermutlich ein schaler Nachgeschmack für den einen oder anderen Beteiligten.
Incentives sind nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung
Eine Katastrophe sondergleichen, auch für die Incentive Branche. Eine Branche die 2009 und 2010 bereits kräftig von der Wirtschaftskrise gebeutelt wurde. In Krisenzeiten ist eben kein Platz für Spaßveranstaltungen und Bordellbesuche in fernen Ländern.
Hier spiegelt sich das gesamte Dilemma der Event- und Incentive-Branche wider. Anstatt als Teil der Lösung – besonders in Krisenzeiten -‐ verstanden zu werden, werden Events und Incentives oft als Problem ausgemacht und fallen dem Rotstift schnell zum Opfer. Oftmals zu vorschnell. Denn wenn nicht in Krisenzeiten, wann dann ist die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und ein gemeinsames Einschwören am wichtigsten?
Incentive leitet sich von dem lateinischen Wort „Incendere“ ab, das bedeutet: anfachen, anfeuern, anheizen. Genau das, was Unternehmen gerade in Krisenzeiten oftmals bitter nötig haben, um das Ruder rumzureißen. Was ist das Problem der Branche? Was ist los im Incentiveland Deutschland?
Champagner und Erdbeeren
Schaut man sich die Incentiveformate genauer an, findet man schnell und oft ein einfaches und immer gleiches Muster: nämlich Luxus. Mag es an der Einfallslosigkeit der Entscheider oder an einer mangelhaften Beratungsleistung der Event- und Incentive-Agenturen liegen, dass sich häufig ein Incentive – insbesondere beim Vertrieb – über den Faktor Luxus definiert. Das ist auch sehr einfach, denn Luxus gegenüber versperrt sich niemand, Luxus ist angenehm und im Zweifel macht der Event- und Incentive-Entscheider eines Unternehmens damit eben am wenigsten falsch. Glaubt zumindest sie oder er…
Da die nationalen Ressourcen an Luxus-Destinationen nur bedingt groß sind, finden Incentives sehr gerne an entsprechenden Orten im Ausland statt. Die Anforderungen an die Destinationen sind dabei einfach: die Unternehmen fordern schlicht immer nur das Beste. Egal ob Griechenland, Malta, Sardinien, Spanien, Frankreich oder wo auch immer: die Anbieter von Destinationen, Locationbetreiber und Hoteliers bekommen zumeist immer nur das eine zu hören: für uns bitte nur das Beste!
Die Hoteliers und Dienstleister vor Ort erfahren dabei allerdings zumeist mehr als die Betroffenen selbst, denn die erfahren nicht selten erst am Flughafen, wohin die Reise überhaupt geht. Die Badehose brav im Gepäck – stand das doch so in der geheimnisvollen „Mystery‐Einladung“ der Agentur. Viele Unternehmen versäumen es dabei, aus Betroffenen echte Beteiligte zu machen – sieht man mal von häufig albernen Teambuilding-Spielchen vor Ort ab, die gerne als Alibi hinzugebucht werden. Die Teilnehmer werden zumeist nicht gefragt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Im Grunde wollen die Unternehmen nicht einmal wissen, ob ein Incentive in Form einer luxuriösen Event-Reise eigentlich auch im Sinne derer ist, die sich durch besondere Leistungen darum bemühen sollen. Das will ein Event- und Incentiventscheider im Unternehmen im Zweifel auch gar nicht erst infrage stellen, denn bis auf luxuriöse Eventreisen hat dieser zumeist nichts weiter in seinem Portfolio anzubieten. Würden die Betroffenen bei einer solchen Befragung z.B. einen Upgrade des Firmenwagens, oder ein iPad2 einer Incentive-Reise nach Budapest vorziehen, so würde unweigerlich damit auch die Event‐ und Incentiveabteilung infrage gestellt. Immerhin ein Arbeitsplatz der – inhaltlich so gestaltet – die Mitarbeiter regelmäßig an die schönsten Plätze dieser Welt bringt, auch ohne dabei die geforderten betrieblichen Leistungshürden, die zur Teilnahme berechtigen, überspringen zu müssen – und das soll doch bitteschön gerne auch so bleiben…
Bleibt es aber nicht. Die Formate sind so nicht leistungsstark genug. In der Krise werden sie in vielen Unternehmen gestrichen und das zu Recht. Es ist dringend an der Zeit das Incentive grundlegend zu überdenken. Das heißt keinesfalls, dass dabei das Thema Reisen – insbesondere ins Ausland – auf dem Prüfstand gestellt werden müssen, sondern das heißt, dass die Formate und dabei auch das Wie, Warum und Wieso überdacht werden sollten. Viele halten in der jetzigen Form dem Rotstift nicht stand.
Triumph der Albernheit
Was machen die Agenturen? Können die es denn auch nicht besser? Nein, die wollen es nicht besser, den gerade in der Incentivebranche ist es üblich, dass Agenturen an den Vermittlungsprovisionen verdienen. Je mehr Teilnehmer und je exklusiver Hotel und Speisen um so lauter klingelt es in der Kasse, denn an jedem Bett, jeder Mahlzeit und jedem Segelboot wird kräftig mitverdient. Da wird gerne laut in die gleiche Kerbe gehauen und dem Kunden exklusive Hotels, opulente Gala‐Dinner und kostspielige Pop-Sternchen offeriert und als „State of Art“ und „Must Have“ verkauft. Und wenn im Grunde alle dasselbe anbieten, muss es doch, so denkt der Kunde letztendlich, auch das Richtige sein.
Nein, das ist es nicht. Auch ein Kunden-Incentive mit dem größten vorstellbaren Aha-Erlebnis ist noch längst keine Kundenbindung, denn der Kunde ist nicht dumm. Ein Mitarbeiter-Incentive auf einem dafür eigens gecharterten Kreuzfahrtschiff wirft schnell die Frage nach immer weiteren und weiteren Steigerungen auf, bis am Ende die manifestierte Albernheit der Maßnahme über die eigentlichen Incentive‐Ziele triumphiert.
Incentives für den Strukturvertrieb mit Multi-Level-Marketing sind längst zu einer modernen Fassung des aus dem Römischen Reich bekannten „Panem et Circenses“ (Brot und Zirkusspiele) mutiert. Hierbei werden nicht selten in Arenen Tausende von „Strukkis“ mit amerikanischen Filmstars und internationalen Top-Ten-Musikern bespaßt und letztendlich mit Dekadenz und einer daraus resultierenden Sehnsucht angepeitscht. Das Ganze hat Sekten-Charakter und erinnert stark an Gehirnwäsche – was es meiner Meinung auch oft ist. Recherchiert man hierzu mal das ein oder andere Unternehmen im Internet, stockt einem schlichtweg der Atem, wenn man sieht, wie viele Millionen diese Unternehmen in Incentives für ihren Strukturvertrieb stecken. Hier wird das Incentive den Teilnehmern als Illusion ihres persönlichen Erfolges vorgegaukelt.
Wir wissen, was Du auf dem letzten Incentive gemacht hast
Letztendlich sind diese Incentiveformate aber auch unter einem ganz anderen Aspekt ein gefährliches Unterfangen und können für ein Unternehmen schnell zu einem bösen Bumerang werden. In der heutigen transparenten Web 2.0 Welt, wo immer mehr online publiziert wird, füllen sich Plattformen wie Facebook und Videokanäle wie YouTube schnell und stetig mit Incentive/Event-Bildern und -Videos – zumeist von berauschten Teilnehmern gepostet. Das, was bisher hinter verschlossenen Türen stattfand, wird zunehmend öffentlich und im Internet verbreitet. Unternehmen laufen dabei akute Gefahr eines Reputations- und Imageschadens in bisher nicht bekanntem Ausmaß, nämlich dann, wenn solche Bilder, Videos und Kommentare eine öffentliche Meinung prägen und für das Unternehmen unliebsame Fragen aufwerfen.
Gerade hier kann ein Incentive, welches außer „Saus und Braus“ kaum oder keinen weiteren Inhalt hat, fehl- und falsch interpretiert werden. Es war das Internet, welches den Budapestskandal erst zu einem handfesten Problem für die ERGO aufbaute. Das Internet ist natürlich nicht schuld, verantwortlich sind alleine die Unternehmen und die Agenturen. Die sollten verstehen, dass sie es sind, die mit jedem weiteren stumpfen Festhalten an den gelebten Incentive‐Formaten auch zu einem weiteren Spatenstich am Incentive-Massengrab beitragen. Sie schaden sich letztendlich selbst und werden zu den Totengräbern einer der stärksten aller Kommunikationsformen, nämlich der von Angesicht zu Angesicht. Und damit richten sie sich auch letztendlich selber hin. Das Internet trifft keine Schuld, es reicht manchmal nur den Spaten.
Im zweiten Teil geht es weiter mit: Neue Formate braucht das Incentiveland – Inhalt statt Luxus.
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