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Raumwelten 2015: stationärer Handel als Privileg und Architektur als Lebensraum

Von Katharina Stein 25.11.2015 ~6 Minuten Lesezeit

Vom 12. bis zum 14. November 2015 fand die Raumwelten in Ludwigsburg statt. Der jährliche Kongress richtet sich an Gestalter, Architekten, Kunstschaffende und Unternehmen, die sich für das Feld der Szenografie und Kommunikation im Raum interessieren. 2015 wurden in vier Modulen Projekte und Ideen aus Architektur, Markenkommunikation, Ausstellungs- und Messegestaltung vorgestellt und diskutiert. Wir haben das Modul Art & Research am 13. November besucht und Dir hier unsere persönlichen, inhaltlichen Highlights mitgebracht.


» Fotos vom Raumwelten Modul Art & Research!


Retaildesign: stationärer Handel als Privileg, nicht als Problem

Der stationäre Handeln klagt oft und gerne über Probleme, die ihm die Internetwirtschaft bereitet. In gewissen Teilen eine nachvollziehbare Kritik. Jedoch gibt es auch andere Sichtweisen, wie zum Beispiel die von Prof. Philipp Teufel von der Hochschule Düsseldorf. Denn für ihn ist der Store kein gefährdetes Konzept, sondern ein privilegierter Raum. Er bietet, im Gegensatz zum Internet, die wertvolle Möglichkeit der direkten, sinnlichen Kommunikation, zwischen Mensch und Produkt sowie von Menschen zu Mensch. Trotz aller Vorzüge, die der digitale Fortschritt bietet – es wird immer deutlicher, dass dieser direkte Kontakt sowie haptische Erlebnisse eine stetig wachsende Bedeutung für Menschen bekommen. Hierin liegt eine große Chance, die mittlerweile auch immer mehr Onlinehändler erkennen. Doch um dieses Privileg bestmöglich zu nutzen, müssen neue Konzepte entwickelt werden, die den stationären Vorteil gezielt ansprechen.

Zentrales Ziel sollten daher einzigartige Erlebnisse sein, die alle Sinne ansprechen, die besondere Beratung oder zielgerichteten Service anbieten. Dafür braucht es nicht nur neue Angebote, sondern auch eine durchdachte Customer Journey. Gleichzeitig sollten Ladengeschäfte die besondere Kraft des Tastsinns nutzen und einen Fokus auf spürbare Stoffe und Materialien legen, sagt Prof. Teufel. Ein weiterer chancenreicher Schlüssel ist die Einbindung von Kunst und Kultur!

Wie auch Tristan Kobler auf der Raumwelten sagte, nähert sich das Einkaufen immer mehr einem Event an. So sollte man den Raum und seine Privilegien bewusst nutzen, um Erlebnisse zu schaffen, die im Internet nicht möglich sind.


Beispiele:
Shopdesign-Gentler-MonsterDie Marke „Gentle Monster“ fällt durch ihre außergewöhnlichen und regelmäßig wechselnden Shop-Designs auf. Künstlerische Installationen im Schaufenster und/oder im Inneren des Ladens machen einen Besuch immer wieder zu einem Erlebnis. Der Blick auf die Website lässt erahnen, was gemeint ist.

Andere Studentenprojekte, die Prof. Teufel auf der Raumwelten vorstellte, verdeutlichen wiederum mit welchen kleinen Ideen Erlebnisse geschaffen werden können. Zum Beispiel mit einem kinetisch bewegten Kleiderbügel, der sich bewegt, sobald man in seine Nähe kommt. Oder alltägliche Objekte (wie u.a. eine Banane) die Geräusche machen, wenn man sie berührt. Das wird durch den Anschluss an einen Stromkreislauf ermöglicht. Wenn man das Objekt berührt, schließt man den Kreislauf mit dem eigenen Körper.


martin-haas-raumwelten-2015

Architektur von Lebensräumen, nicht von Gebäuden

Architektur ist mehr als eine „autarke Maschine“, die Menschen einen statischen Ort für Arbeit oder Privatleben bietet, so Prof. Martin Haas von haascookzemmrich STUDIO2050. Er kritisiert, dass sich Architektur und Städtebau immer noch viel zu sehr an einer veralteten Vorstellung und separierten Funktionen orientiert. „Denn der neue Lebensstil einer vernetzen Wissens- und Informationsgesellschaft unterscheidet kaum noch zwischen Beruf und Freizeit. Der Wunsch nach Lebensqualität, nach Ruhe und Aufmerksamkeit, nach einer selbstbestimmten Kommunikation und dem intensiven Austausch mit anderen bestimmt heute sowohl unser Arbeits- wie auch unser Freizeitleben.“

Neue Gesellschafts- und Lebensformen brauchen auch neue Räume, so Haas. Gebäude, die sich den Bedürfnissen der Menschen und gar den Jahres- und Tageszeiten anpassen und flexibel genutzt werden können, berufliche wie private Grenzen abbauen. Der Raum sollte sich den Menschen anpassen und nicht der Mensch den vorgefertigten Raumfunktionen.

Prof. Haas fordert daher, dass Architekten zuerst den Menschen betrachten sollten. Was wünscht er sich, was braucht er, um gut und nach seinen Wünschen zu leben? Dann sollte er seinen Blick auf die Lebensräume erweitern. Wie funktioniert die dortige Gesellschaft, die Stadt, was hat sie, was fehlt ihr noch? Erst ganz am Ende sollte aus den einführenden Analysen ein Gebäude zielgerichtet konzipiert werden.

Für Prof. Haas ist Architektur in erster Linie ein Lebensraum und nicht einfach nur ein Gebäude. So überrascht es nicht, dass er der Meinung ist, Architektur solle nicht um ihrer selbst willen eine Attraktion sein, sondern vielmehr für die Art und Weise, wie sie das Leben bereichert.

wolfram-putz-raumwelten-2015

Innovationen durch Serendipität

Bei all den spannenden und richtigen Forderungen von Prof. Philipp Teufel und Prof. Martin Haas. Die Frage, die viele dabei umtreibt ist: Wie kommt man auf diese innovativen Ideen, wie denkt man neu und anders? Ob nun im Retaildesign, in der Architektur oder auch in der Live-Kommunikation? Architekt Wolfram Putz von GRAFT sieht das Problem in unseren Vorgehensweisen und vermeintlichen Kreativprozessen. Sie verlaufen häufig nach klassischen und bekannten Mustern. Untypische Abweichungen oder mit Gesellschaft oder Kultur brechende Kombinationen bekommen bewusst oder auch unbewusst nur wenig Raum. Zeit- und Budgetdruck tragen ihren Teil dazu bei und engen uns ein.

Wolfram Putz stellt sich in seinem Büro daher bewusst die Frage, wie man Menschen vom klassischen Weg abbringen kann? Viele gute Ideen sind Zufallsentdeckungen, daher braucht es seiner Meinung nach mehr Serendipität. Das Wort „bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist“. Dabei handelt es sich aber nicht um einen glücklichen Zufall, der nicht viel mit den vorherigen Bemühen zu tun hat. Serendipität entsteht im Rahmen eines ehrgeizigen, intelligenten und passionierten Prozesses! Eine Mischung aus Genialität und Wahnsinn, aus Intelligenz und Kreativität. Beispielsweise die Entdeckung Amerikas oder der Röntgenstrahlen. Ohne Willenskraft, Neugier, Intelligenz und Ideenreichtum wäre den Entdeckern nichts in den Schoß gefallen. Diesen Prozess aus intelligenten und gleichzeitig offenen und kreativen Abläufen gilt es zu fördern, sagt Putz. Nicht nur um bessere Architektur zu entwerfen, sondern auch um die Welt ein Stück weit besser zu machen.

Doch dafür muss man zweifelsohne mehr Freiräume für unkonventionelle Vorgehensweisen ermöglichen und von unserem Effizienz- und Rationalisierungs-Trip, der unsere kreativen Möglichkeiten in ein enges Korsett schnürt, runterkommen!

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