Was macht ein außergewöhnliches, innovatives und gutes Eventkonzept aus? Eine schwierige Frage, die man vermutlich nur bedingt eindeutig beantworten kann. Für mich persönlich ist jedoch die konsistente, überraschende Kombination einfacher Mittel ein zentraler Bestandteil. Wie kann zum Beispiel aus Standartelementen wie Publikum, Bühne und Schauspieler etwas überraschend Neues und das Erlebnis hebendes entwickelt werden, ohne dabei der reinen Effekthascherei zu erliegen? Eine mögliche und meiner Meinung nach großartige Antwort darauf gibt uns Mathis Nitschke mit seiner Kurzoper „Viola“!
Im Rahmen des Pasing By Kunstfestivals im Juli 2015 konzipierte und komponierte Mathis Nitschke eine ungewöhnliche Kurzoper im öffentlichen Raum. Das Publikum saß dabei im Schaufenster einer Apotheke und blickte auf den belebten Pasinger Bahnhofplatz. Hauptdarstellerin war Viola (Martina Koppelstetter), eine „traurige und desorientiere Frau, die den Bezug zu Zeit und Raum, zu Innen und Außen verloren hat.“ Die Zuschauer konnten sie gut hören, aber erst nach einer Weile der Suche auch sehen. Denn Viola nutzte den öffentlichen Bahnhofplatz als Bühne und verbarg sich zwischen den Passanten.
„Viola monologisiert meist, wendet sich aber auch an Passanten und auch direkt an das Publikum – auf sicherer Distanz im geschützten Innen der Apotheke –, bevor sie nach vergeblichem Versuch der Kontaktaufnahme wieder in der Anonymität verschwindet. Zurück bleibt nur ihre Verlorenheit, ihre Einsamkeit.“
Ein großartiges Konzept und Spiel mit den Perspektiven – mit Distanz und Nähe, mit Öffentlichkeit und Unsichtbarkeit – das sich in allen Elementen wiederfindet. Unter anderem in der ungewöhnlichen Bühne, die den Kontrast zwischen Violas Unsichtbarkeit und Einsamkeit und der Öffentlichkeit und Lebendigkeit des Ortes betont.
Ihre verlorenen Grenzen zwischen „Innen und Außen“ spiegeln sich nicht nur in der Vermischung von realem Leben und Schauspiel auf dem Bahnhofplatz wider. Auch räumlich greifen die gedrehten Positionen von Zuschauer und Protagonist ihre Verwirrung auf.
Das Glas des Schaufensters wurde dabei zu einem zwar transparenten, aber auch distanzierenden Element – zu einer „klingenden und vibrierenden Membran zwischen dem Innen und Außen“. Über spezielle Schallwandler wurde Violas Stimme auf die Glasscheibe des Schaufensters übertragen.
Auch das Publikum durchlebte verschiedene Perspektiven und war Teil der Darbietung. Zu Beginn beobachtet es die Protagonistin und die Passanten aus sicherer und unsichtbarer Distanz. Doch im weiteren Verlauf wendet sich nicht nur Viola direkt an sie. Andere Menschen bemerken das Schauspiel und die Zuschauer im Schaufenster. Zeitweise dreht sich die Situation und aus den unsichtbaren Beobachtern werden öffentlich Beobachtete.
Eine poetische Inszenierung, die einerseits ein gesellschaftlich aktuelles Thema sehr nah am Leben mitfühlen lässt. Andererseits schafft das Eventkonzept alleine durch die ungewöhnliche Kombination und Verortung klassischer Bestandteile ein außergewöhnliches, ganzheitliches und alle Beteiligten berührendes Erlebnis.
Video: Viola – eine Kurzoper im öffentlichen Raum
Beteiligte:
Libretto: Thomas Jonigk
Konzept, Komposition: Mathis Nitschke
Viola: Martina Koppelstetter
Bratschenaufnahme: Klaus-Peter Werani
Sprachaufnahme: Ursula Berlinghof
Fotos: Screenshots aus dem Video
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