Gastserie von Christian Oblasser und Frank Riede, Trafo
Wir wollen in dieser Artikelreihe den Fokus auf strategisches Storytelling in der Live-Kommunikation legen. Durch Strategisches Storytelling werden ein Unternehmen und seine Produkte bzw. Dienstleistungen in seiner Gesamtheit betrachtet. Zudem wollen wir umsetzbare Beispiele und Handlungsempfehlungen geben. Strategisches Storytelling kann erfolgreich eingesetzt werden, um Mitarbeiter zu motivieren, eine Marke, ein Produkt oder die Führung eines Unternehmens zu positionieren, Unternehmensziele emotional zu vermitteln und die Unternehmenskommunikation zu strukturieren.
Storytelling ist als neuer Begriff und als Instrument der fraktalen crossmedialen Kommunikation im Marketing-Mix angekommen. Was aber bedeutet dieses Erzählen einer Geschichte, und was unterscheidet Strategisches Storytelling von dem, was bereits seit Anbeginn der Werbung getan wird? Ist es nur ein neuer Hype? Alter Wein in neuen Schläuchen? Es ist an der Zeit, den Begriff des Storytelling genauer unter die Lupe zu nehmen und seine Bedeutung für die Live-Kommunikation und seine Funktion für die Kommunikation im Marketing-Mix genauer zu betrachten.
Storytelling bedeutet erst einmal nicht anderes, als eine Geschichte zu erzählen. Geschichten werden dabei als Grundlage jeder menschlichen Kommunikation verstanden. Damit die Zuhörer aufmerksam bleiben, sich erinnern und bestenfalls die Geschichte weitererzählen, muss diese gut erzählt sein. Egal ob es die Geschichte ist, die im Freundes- und Familienkreis erzählt wird, ein Werbespot oder ein Anzeigenmotiv.
Der Spannungsbogen und die Grundzutaten müssen stimmen, die Dramaturgie erlebbar sein. Nichts Neues also. Die Werbeindustrie hat sich von Anbeginn an des Storytellings bedient und Produkte so aufgeladen: Mit Geschichten, Mythen, Protagonisten. Bis heute generiert die Werbung Claims, Slogans, Mottos, die dem Produkt eine Geschichte überstülpen wollen, welche es sui generis gar nicht besitzt. Dabei wird Storytelling als reines Absatzförderungsinstrument eingesetzt, es geht um die Außenwirkung auf den Konsumenten, die Erzeugung von Kaufanreizen. Aus dieser Prämisse erklärt sich, dass Werbung jeweils teilweise in Jahresfrist nachjustiert werden muss, dass die Claims und Slogans dem Zeitgeist, der Mode etc. angepasst werden müssen, wodurch ihre Austauschbarkeit und Willkürlichkeit evident werden. So sehr sich die Werbetreibenden auch bemühen – Werbung bleibt eine äußerliche Verpackung des Beworbenen, unabhängig von der Unternehmenskultur und -struktur.
Slogans der DEUTSCHEN BANK 1960 – 2003 (Quelle: BrandEins.de)
In der Live-Kommunikation ist es nicht anders. In nahezu jedem Briefing wird der sogenannte “Rote Faden” gefordert, der ein Motto über die gesamte Veranstaltung sicht- und erfahrbar macht.
Alles in bester Ordnung könnte man nun sagen. Ein Claim, ein Motto und eine Geschichte, das alles lässt sich doch leicht finden. Stimmt. Stimmt aber auch nicht. Warum kommen einem die Mottos und Claims oft fade und austauschbar vor? “Orchestrating Success”, “Gemeinsam durchstarten hoch 3” etc. sind austauschbare Metaphern und Analogien, denn sie schöpfen ihre Kraft und Deutung aus dem Allgemeinen. Sie kommen von außen und wirken nach außen, ohne den Kern der Kommunikation einer Unternehmung oder eines Produktes zu berücksichtigen. Sie sind deshalb austauschbar und wenig nachhaltig.
Strategisches Storytelling kann mehr, als einen Roten Faden bieten oder eine erinnerbare Produktgeschichte erzählen und die Vorzüge eines Produktes verständlich machen. Strategisch eingesetztes Storytelling stiftet Identifikation und wirkt nachhaltig. Es erzeugt verbindliche Emotionen. Beim Strategischen Storytelling geht es nicht darum, die Geschichte eines Produktes oder einer Marke zu erfinden. Es gilt, eine allumfassende, gemeinsame Geschichte zu finden, zu dokumentieren und für alle Kommunikatoren als verbindliche und verwendbare Ressource aufzubereiten. Diese Geschichte muss von innen kommen. Sie muss aus der Geschichte des Unternehmens oder des Produktes authentisch entwickelt werden und die Ziele der Kommunikation und des Marketings berücksichtigen. Wenn dies gewährleistet ist, dann wird aus einem herkömmlichen Storytelling ein Strategisches Storytelling. Es wirkt gleichermaßen nach innen und außen. Es gibt die Richtung vor und ebnet den Weg. Und dies wird gerade in einer Zeit des medialen Wandels wichtig, denn Geschichten müssen über alle Kanäle und Plattformen konsistent erzählbar und wieder erkennbar sein. Es ist nachhaltig und übernimmt eine Ordnungsfunktion in der Kommunikation.
Und wie wird Strategisches Storytelling eingesetzt?
Indikatoren für den Einsatz Strategischen Storytellings sind in der Regel Change-Prozesse jeder Art, aber auch andere verunsichernde Diagnosen, die einen Gap zwischen Produkt und Unternehmen, Unternehmensführung und Mitarbeitern, Kunden und Produkt, Unternehmen und Produkt zeitigen.
Strategisches Storytelling wird dabei zur Mitarbeitermotivation eingesetzt, indem die abgeleitete Story sich jedem Mitarbeiter durch alle Ebenen erzählt und ihm bzw. ihr die Unternehmensziele emotional erfahrbar werden lässt. Gleichzeitig ermöglicht Strategisches Storytelling eine (Neu-)Positionierung der Marke, des Produkts sowie der Unternehmensführung sowohl intern als auch extern.
Ein Vorteil des Strategischen Storytellings ist die emotionale Vermittlung der Unternehmensziele nach außen wie innen und setzt das Unternehmen dadurch in den Stand, authentisch nachhaltige Botschaften entwickeln zu lassen, die passgenau Unternehmen und Produkt spiegeln.
Darüber hinaus ergibt sich aus einem Strategischen Storytellingansatz für das Unternehmen eine neue Kommunikationsstruktur, da die ureigene Story mit all ihren Neben- und Subgeschichten die Unternehmenskommunikation in- und extern ordnet und vernetzt mit dem Kern jeden Storytellings: der Unternehmensbotschaft.
Wie es weitergeht
Um auf die nächste Folge dieser Serie zum Strategischen Storytelling überzuleiten, in der wir am konkreten Fallbeispiel das strategische Storytelling aufzeigen, brauchen wir – einen sogenannten Cliffhanger:
Es war einmal ein Apotheker in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer deutschen Mittelstadt, irgendwo im Südwesten Deutschlands, der stellte gelatinefreie Gummibärchen in kleinen Mengen her. Das ist lange her und der Apotheker hinterließ sein Geschäft längst den Kindern und Enkeln. In dritter Generation nun schon ist URSUS, wie unser Gummibärchenproduzent heißen soll, nun schon in Familienbesitz.
Bis in die 1970er Jahre waren die URSUS-Gummibärchen ein Hobby des Apothekers, eine kleine Abwechslung im Alltag und ein Give-Away für die Kinder der Kunden. Aber irgendwann entwickelten die bunten Kerle ein Eigenleben – in den 80ern waren lokale Produkte plötzlich gefragt, und ohne dass viel getan werden musste, etablierte sich ein überschaubarer, aber bundesweiter Vertrieb. Der Sohn des Gründers hatte inzwischen die Geschäfte übernommen und es wurden unter dem Namen URSUS nun auch Lakritze und andere Süßwaren hergestellt. Die Produktion blieb in Deutschland, weitete sich aber aus. In den 90ern dann wurde klar, dass man sich gegen den deutschen Weltmarktführer in Sachen Gummibärchen nicht würde etablieren können, da dieser den Markt auch für Discounter-Ketten mit NoName-Produkten überschwemmte und das zu konkurrenzlosen Preisen. Da besann sich URSUS auf seine Wurzeln und einen neuen Trend: URSUS wurde bio, lokal – und konnte angesichts der ersten Rinderskandalfälle darauf verweisen, dass seine Gummibärchen ohne Gelatine hergestellt werden. Wie zufällig wurden auf der Grünen Woche 2010 arabische Einkäufer auf URSUS aufmerksam – und damit tat sich ein schier unerschöpflicher Markt auf, der nach gelatinefreien Gummibärchenprodukten gierte…
In der nächsten Folge dieser Serie werden wir an dem fiktiven Beispiel von URSUS zeigen, wie Strategisches Storytelling im Change-Management-Prozess angewandt wird.
» Zum 2.Teil der Serie: Strategisches Storytelling
» Zum 3. Teil der Serie: Anwendung in der Kommunikation und bei Events
Trafo bietet strategische Beratung und Konzeption im Bereich Storytelling für Agenturen und Unternehmen.
Trafo entwickelt Storyline, Content und Vision um Kommunikation erlebbar zu visualisieren und die Botschaft nachhaltig zu verankern.
Foto: flickr / umjanedoan
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